Freitag, 17. Mai (19 Uhr): Bingo im Haus Eifgen

Liberale Sondierungen

VON WOLFGANG HORN

Wir haben es im Grunde mit zwei liberalen Parteien zu tun, mit eher linksliberalen Grünen und eher wirtschafts- und nationalliberalen Freidemokraten. Als die einst linksliberale FDP 1982 ihre berühmte Lambsdorff-Wende von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl vollzog, besetzten die gerade gegründeten Grünen bereits die entstandene sozialliberale Lücke, indem sie Umweltschutz und Bürgerrechte, liberale Gesellschafts- und Familienpolitik, Gemeinwohlorientierung und all das verkörperten, was die sozialliberale FDP 1971 in ihre Freiburger Thesen geschrieben, ab 1977 aber als Programm aufgegeben hatte. Bereits Anfang 2018, drei Wochen nach seiner Wahl zum Co-Vorsitzenden der Grünen, sagte Habeck in einem Interview: „Auf die Möglichkeit, dass es nach der nächsten Wahl nicht mal mehr für eine Große Koalition reichen könnte, müssen wir uns einstellen. Für die Grünen heißt das, bereit zu sein, die sozialliberale Lücke zu schließen … Wir müssen linksliberale Politik insgesamt mehrheitsfähig machen.“ An einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft werden die Lindnersche FDP die Marktwirtschaft hervorheben und die Habeckschen Grünen das Ökosoziale betonen. Das macht eine Einigung in den Vorsondierungen möglich, ja, wahrscheinlich. Die Schnittmengen sind ausreichend. Beschleunigung des Ausbaus der regenerativen Energien und der Infrastrukturnetze, „Bürokratieabbau“ und verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, Klimaschutz in Verbindung mit Wirtschaftswachstum, bildungspolitische Modernisierungen, Liberalisierungen der Geschlechter-, Familien- und Drogenpolitik, Transformation in Richtung Dekarbonisierung, erhebliche Maßnahmen hinsichtlich der Digitalisierung. Umbau der Wirtschaft: mehr Produkte, mehr Export, mehr Konsum, mehr Umsatz, mehr Wachstum. Ob indes das Zusammenwirken von Linksliberalen und Wirtschafts- und Nationalliberalen dauerhaft funktionieren kann, wird man abwarten müssen. In allen Krisen – in der Weimarer Republik bis hin zur Bundesrepublik – riß es die beiden Strömungen der Liberalen auseinander. Konträr sind die Aufassungen und Programme zur Steuer-, Arbeitsmarkt- und Abgabenpolitik, zur Bau- und Verkehrspolitik, zur Sicherheitspolitik, zur EU. Plisch und Plum, das waren seinerzeit der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller und der CSU-Finanzminister Franz-Josef Strauss. Das hatte funktioniert damals in der ersten Großen Koalition am Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Warum also sollte es heute zwischen Christian Lindner und Robert Habeck schwieriger sein? Jedenfalls ist das gelb-magenta-blau-grüne Bündnis für die Dauer einer Legislaturperiode vorstellbar und realistisch. Der vermutliche Partner dieses liberalen Bündnisses, die SPD unter Scholz, wird ihre Mühen haben mit den erstarkt-selbstbewußten Liberalen beider Strömungen, denen eigentlich gleich sein kann, wer unter ihnen Kanzlerin sein wird. Die Zeiten des „gemeinsamen“ Projektes, wie weiland unter Fischer und Schröder sind Geschichte.

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

    • stefan+janosi
    • 01.10.21, 20:01 Uhr

    Es gibt Schnittmengen die definitiv gemeinsame Regierungspolitik möglich machen könnten. Allerdings sehe ich in den Bereichen Steuer-, Arbeitsmarkt- Abgabenpolitik und Verkehrspolitik doch sehr große Hürden die zu nehmen sehr schwierig werden. Ich persönlich sehe wenig Möglichkeiten für die Finanzierung einer enagierten Klima- und Sozialpolitik ohne Gegenfinanzierungen durch Steuern. Gewinne aus Kapitalanlagen (mit entsprechend hohen Freibeträgen) sollte dabei ebenso eine Rolle spielen wie eine Erhöhung der Einkommensteuer für Menschen mit einen Einkommen von z.B. größer 200.000.- p.a.

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    • Karl-Reiner Engels
    • 02.10.21, 9:42 Uhr

    Keine Frage, das passt oder wie Habeck sagt, wenn die Schraube erst mal richtig angesetzt ist, dann…. Inhalte? Da wird “urdemokratisch” erst mal nichts drüber gesagt, Stillschweigen vereinbart. Mal sehen, wie lange die Halbwertzeit der jeweiligen Wahlprogramme sein wird. Gesetzt ist von Vertretern des Kapitals: „Angesichts des unklaren Wahlausgangs erwartet die deutsche Industrie jetzt von allen Parteien maximale Verantwortung und Anpacken der Prioritäten statt taktischer Manöver.“ „Die Stärkung unserer Wirtschaftskräfte und das Bekenntnis zum Industrie-, Export- und Innovationsland Deutschland sind ohne Alternative für jede denkbare Koalition.” Damit ist dann schon mal die große Linie bestimmt, an denen sich die KoalitionärInnen auszurichten haben. Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und FDP, wird dann voraussichtlich Herr Scholz zum Kanzler gewählt.

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