PFAS – verkannt, verschwiegen und hochgiftig

Univ.-Prof. Prof. mult. Dr.-Ing. agr. Jörg Rinklebe über die Gefahren des toxischen Gifts PFAS für Mensch und Umwelt

VON UWE BLASS

Wer liebt sie nicht, die atmungsaktive Gore-Tex-Jacke auf dem Weg zur Arbeit, dazu noch den schnellen Kaffee-to-go im Einmalbecher und am Abend das knusprige Fleisch aus der Teflonpfanne. Den wenigsten ist dabei bewusst, dass in all diesen alltagserleichternden Materialien giftige Stoffe enthalten sind, über deren Entsorgung sich keiner Gedanken macht. Die Rede ist von PFAS, perfluorierte Alkylsubstanzen, eine Gruppe von Industriechemikalien, die für Mensch und Umwelt hochgiftig sind und nach wie vor im großen Stil produziert werden, weil Regierungen die Gefahren seit Jahrzehnten unterschätzt und die Öffentlichkeit nicht ausreichend informiert haben. Presseberichte der jüngsten Zeit beunruhigen in zunehmendem Maße Bürgerinnen und Bürger. Der Wuppertaler Umweltwissenschaftler Prof. Dr. Jörg Rinklebe kennt die dramatischen Auswirkungen von PFAS und fordert einen grundlegenden Richtungswechsel von Politik und Wirtschaft.

Mindestens 1500 Orte in Deutschland betroffen

Das hochtoxische Gift kommt an mindestens 1500 Orten in Deutschland vor, ist komplett synthetisch hergestellt, in der Natur überhaupt nicht vorhanden und daher schwer zu recyceln. „Diese Stoffe werden ganz vielfältig in unserem täglichen Leben eingesetzt“, erklärt Rinklebe. „Sie haben in der Regel viele positive, z.B. flüssigkeitsabweisende Eigenschaften, warum man sie eben in Schuhen, Jacken und sonstiger Kleidung benutzt, aber auch in Einweggeschirr und in jedem To-Go-Becher. Das sind toxische Stoffe, die auch in Beschichtungen von Bratpfannen und in Zahnseide verarbeitet sind.“ Neben weiteren Verwendungen kommt der Stoff auch in Löschschäumen vor, die beim Einsatz dementsprechend Boden und Grundwasser kontaminieren. Rinklebe macht unmissverständlich klar: „Wenn PFAS in den menschlichen Organismus oder die Umwelt gelangt, ist es sehr, sehr giftig. Diese Stoffgruppe wird sowohl national als auch international als prioritär schädlich eingestuft.“

Gefahren sind Fachwissenschaftlern seit Jahrzehnten bekannt

PFAS kann man nicht riechen, schmecken oder sehen. Man vermutet, dass es Krebs verursacht, unfruchtbar macht und das Immunsystem schwächt. Und wenn es einmal in die Umwelt gelangt, dann bleibt es dort. Und doch scheint die Öffentlichkeit erst jetzt so richtig zu begreifen, auf welchem Pulverfass wir uns befinden. „In der Fachwelt ist es bekannt“, erklärt der Wissenschaftler, „aber man hat sich eher auf die Vorteile des Stoffes konzentriert und die Nachteile in Kauf genommen. Dann wurden im Laufe der Jahre immer nur einzelne Verbindungen verboten, oder nach Substituenten (Ersatzstoffen) gesucht. Dadurch hat man dann ähnliche Stoffe kreiert, die de facto die gleiche Eigenschaft haben, aber nicht unter die Regularien fallen, weil sie dann ein neuer Stoff sind. Man muss also die ganze Stoffgruppe mindestens kontrollieren und dafür sorgen, dass sie nicht in die Umwelt und in den Menschen gelangt.“

Behörden versäumen Aufklärung

In vielen Fällen wurde die Bevölkerung von Behörden überhaupt nicht informiert. Rinklebe erklärt es so: „Behörden brauchen immer eine belastbare Grundlage, eine Gesetzesgrundlage. Erschwerend kommt hinzu, dass Gesetzesverfahren lange dauern. Wir rechnen nicht in Jahren sondern in Dekaden. Manchmal brauchen diese Vorgänge 10 oder 20 Jahre, bis solche Gesetze in Kraft treten und solange wird natürlich weiter produziert, und schädliche Stoffe gelangen in die Umwelt und schädigen so Mensch und Ökosysteme.“

17000 Orte europaweit betroffen – Gesetze müssen verabschiedet werden, jetzt!

Auch hier in NRW sind wir betroffen. Köln, Bonn, Düsseldorf und auch Remscheid sind auf einer interaktiven Karte verzeichnet. Europaweit reden wir sogar von 17000 Orten, an denen teilweise erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Menschen bestehen. Mit den Folgen haben wir vielleicht sogar noch Jahrhunderte zu kämpfen. Obwohl das Problem seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt ist, gibt es bis heute in Deutschland keine verbindlichen Regeln, die den Gebrauch und die Entsorgung von PFAS systematisch begrenzen. Bund und Länder hinken in Bezug auf eine Gesetzgebung hoffnungslos hinterher. „Erst vor kurzem hat das Umweltbundesamt einen Richtwert empfohlen“, erklärt Rinklebe und schränkt sofort ein, „eine Empfehlung ist aber immer noch kein Verbot, d.h. es dauert noch eine ganze Weile, ehe ein Verbot in Kraft treten kann. Als Beispiel nenne ich einmal die sogenannte Mantelverordnung, in der auch die Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung, Ersatzbaustoffe sowie die Grundwasserverordnung enthalten sind. Diese Verordnung hat mehr als 20 Jahre gebraucht und wird hoffentlich dieses Jahr endlich verabschiedet. Darüber freuen wir uns natürlich, aber PFAS ist da noch gar nicht enthalten. Und wir wissen, wenn ein Gesetz oder eine Verordnung erst einmal verabschiedet ist, dann dauert es oft wieder 20 Jahre, bis so ein neuer Stoff aufgenommen wird.“ Daher hofft der Fachmann auf die Möglichkeit einer gesonderten Extraverordnung, die er in diesem Fall für sehr geboten hält.

Auch auf internationaler Ebene müsse seiner Meinung nach mehr Gas gegeben werden. „Jüngst haben wir dazu noch einen Kommentar veröffentlicht, wo wir darauf hinweisen, dass die EU schnellstmöglich Grenzwerte etablieren muss und sich nicht mehr herausreden kann, dass nur dieser oder jener kleine Stoff verboten wird, weil die Industrie sofort einen ähnlichen Stoff erzeugt, der auch wieder toxisch ist. Wir müssen da grundsätzlich gesetzgeberisch ran.“ Dabei sind die bisherigen Fundorte von PFAS nur das kleine Übel, eine Vielzahl an Gebieten wurde bis dato noch gar nicht erfasst oder gar untersucht.

Sanierung von PFAS belasteten Standorten

„Mit Sicherheit ist es eine Mammutaufgabe, diese große Vielzahl an PFAS kontaminierten Standorten in den kommenden Jahren zu sanieren und leider sind gängige Sanierungsverfahren oft nur ungenügend“, sagt Rinklebe und erklärt: „Deshalb arbeiten wir an der Entwicklung von neuen Sanierungstechnologien. In einem von der LeitmarktAgenturNRW, dem Projektträger ETN, dem Forschungszentrum Jülich GmbH, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) sowie vom Land NRW geförderten Forschungsprojekt entwickeln wir mit der Firma Intrapore ein Sanierungsverfahren für solche kontaminierten Standorte.“

Kreislaufwirtschaft leben

Die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe nutzen gezielt PFAS. Da stellt sich die Frage, ob diese Unternehmen sich nun warm anziehen können. Dazu Rinklebe: „Sie müssen nun aktiv nach anderen Stoffen suchen. Es ist natürlich ihr Geschäft, wir alle partizipieren davon, ich trage auch atmungsaktive Kleidung. Wir können dem alle kaum entfliehen, obwohl die Einwegbecher nicht mehr sein müssen, da kann jeder einzelne für die Umwelt etwas beitragen. Selbst für Löschschäume gibt es schon gute Ersatzstoffe, die man entwickelt hat, und die schon einigermaßen gut funktionieren. Aber für andere Dinge, wie Kleidung, sucht man nach Alternativen, die auch die Entsorgung dieser Kleidung mitberücksichtigt, denn auch das ist ein Riesenproblem.“

Wir erinnern uns, 2018 hat China die Einfuhr unseres Plastikmülls gestoppt, Deutschland suchte Alternativen. Vor kurzem reiste Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Ghana, wo unser Textilmüll unkontrolliert abgelagert wird. Das sind deutsche Umweltprobleme, die wir in andere Länder und Kontinente exportierten. „Wir in Deutschland und Europa sind total sauber, denn unser ganzer Müll geht woanders hin. Aber da müssen wir auch grundsätzlich ansetzen“, fordert Rinklebe. „Es muss hier, wo wir die Technologien haben, sachgerecht entsorgt und möglichst entgiftet werden. Wir müssen beginnen, Kreislaufwirtschaft auch zu leben. Im internationalen Vergleich steht Deutschland was die Kreislaufwirtschaft angeht, gar nicht so schlecht da, wir sind bei ca. 49% und Afrika liegt bei unter 1%.“ Das sollte uns aber nicht dazu verleiten, uns auf die Schulter zu klopfen, denn Rinklebe fährt fort: „Wir sind nur weniger schlecht als die anderen, weil unser Ziel eigentlich 99% Wiederverwertung sein sollte. Wir sollten an der Kreislaufwirtschaft arbeiten, denn da ist noch eine Menge zu tun. In der Richtung hat Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten wirklich geschlafen.“

Rinklebe organisiert größte Konferenz der Bergischen Universität in Wuppertal

Die Sanierung der bekannten kontaminierten Orte allein in Europa wird nach einer nordirischen Studie mit 17 Milliarden Euro beziffert. Noch höher fallen die jährlichen Kosten für die Behandlung der Menschen aus. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagt sogar, eine Sanierung von PFAS sei fast unmöglich.

Rinklebe veranstaltet vom 06. bis 10. September eine internationale Tagung in Wuppertal, die auch das Thema PFAS von allen Seiten beleuchtet. „Unsere Fachkollegen kommen aus allen Bereichen der Umweltforschung und menschlichen Gesundheitsforschung. Unsere Konferenz steht unter dem Motto ´Clean Environment, Human Health, our Future`, das heißt, schütze die menschliche Gesundheit, schütze die Umwelt, denn das ist unsere Zukunft.“ Erstmalig kommen führende Fachwissenschaftler:innen aus aller Welt zu dieser noch nie in Deutschland gewesenen Konferenz, die unter Rinklebes Führung in Wuppertal ausgerichtet wird. „Wir haben bisher mehr als 2000 Anmeldungen aus 76 Ländern. Die Bereiche erstrecken sich von Medizinern, die schädliche Stoffe im menschlichen Körper untersuchen, bis hin zu Fachleuten, die in Eisbären, in Walen und anderen großen Organismen bis hin zu kleinsten Organismen einschließlich Fadenwürmer und Mikroorganismen schädliche Stoffe untersuchen. Wir begrüßen Umweltwissenschaftler aus allen ökosystemaren Bereichen, also Fachleute die Ozeane und die Luft untersuchen, die die Pflanzen und den Boden untersuchen, Sedimente und auch das frische Wasser in Flüssen, Seen und Grundwasser. Man kann schon sagen, dass im September die führenden Köpfe der Welt, die maßgeblichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Bergische Universität nach Wuppertal kommen.“

Der Stein rollt bereits, die Konferenz wird ihn sicherlich beschleunigen, und dadurch hoffentlich schnellere Entscheidungen der Politik für die Bevölkerung erreichen.


Univ.- Prof. Prof. mult. Dr.-Ing. agr. Jörg Rinklebe ist seit 2006 Professor für Boden- und Grundwassermanagement an der Bergischen Universität Wuppertal. Er gilt weltweit als einer der einflussreichsten Wissenschaftler in seinem Fachgebiet. Seine Arbeiten werden sehr häufig zitiert, weshalb er zum „Highly Cited Researcher“ gekürt wurde. Auf der Weltrangliste für Umweltwissenschaften steht er auf Platz 4, wobei bisher nur wenige deutsche Wissenschaftler überhaupt unter den ersten 100 Plätzen gelistet sind. Von 1997 bis 2006 war er als Wissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter in der Sektion Bodenforschung des UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle GmbH in Halle tätig. Er studierte ein Jahr Ökologie an der Universität Edinburgh in Schottland (UK). An der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg studierte er Landwirtschaft und spezialisierte sich auf Bodenwissenschaften und Pflanzenernährung

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