“WIR WEIGERN UNS, FEINDE ZU SEIN.” IV

Hier nun die bereits vierte Folge eines schwierigen Dialogs, geführt von der pensionierten Pfarrerin und ehemaligen Sprecherin der Flüchtlingsinitiative “Willkommen in Wermelskirchen”, Cornelia Seng, und Dr. Housamedden Darwish, Philosoph, 2015 als Flüchtling aus Syrien nach Wermelskirchen gekommen und hier in der Flüchtlingsinitiative aktiv geworden. Die ersten Folgen dieses schriftlich geführten und immer wieder neu übersetzten Dialogs zweier Freunde finden Sie hier, hier oder hier. Wie kann man als Syrer und Muslim mit dem Terror der Hamas gegen Jüdinnen und Juden umgehen, wie als Christin und Deutsche mit der Weigerung Israels, einen palästinensischen Staat anzuerkennen? Schwierige Fragen, die es einem schwer machen, sich nicht in eine Feindschaft zu begeben.

„Die Ermordung eines Menschen im Wald ist eine unverzeihliche Tat
der Mord an einem sicheren Volk ist eine Frage, die Bedacht erfordert.
Das Recht liegt bei der Stärke und wird nur dem gewährt, der triumphiert.
In dieser Weltlage sei also vorsichtig vor ihrem Übel.“

Diese Verse stammen von einem arabischen Dichter namens Adeeb Ishaq, in denen er aufzeigt, dass viele Menschen mit zweierlei Maß messen und sich damit selbst widersprechen. Er betont auch, dass es nicht möglich ist, sich auf den theoretischen Besitz eines Rechts oder auf die Moral anderer zu verlassen, um dieses Recht in der Praxis zu erlangen, da es in erster Linie und letztlich um Macht geht. Der Inhalt spiegelt teilweise die deutsch-israelische politische Haltung auf der einen Seite und die Situation von Millionen von Palästinensern unter der Besatzung auf der anderen Seite wider. Nach der deutsch-israelischen Position ist die Tötung von 1.200 Israelis ein unverzeihliches Verbrechen, während die Tötung von 21.000 Palästinensern (bisher nur) eine Frage der Rücksichtnahme ist.

Das bedeutet, dass sich die Palästinenser nicht allein auf die internationalen moralischen und politischen Gesetze und Vorschriften verlassen können, um das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf die Gründung eines unabhängigen Staates, das Recht auf Widerstand gegen die Besatzung und das Recht auf ein freies und würdiges Leben zu verwirklichen. Sie müssen vielmehr die Macht besitzen, diese Rechte durchzusetzen und andere zu ihrer Achtung zu zwingen. Das ist der Zustand der Welt, wie der Dichter zu Recht sagt, aber ich habe nicht erwartet, dass dies die Haltung derjenigen ist, die wirklich an das System der Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die moralische Gleichheit der Menschen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit, glauben.

Deine Neigung zu einer relativistischen und subjektiven Philosophie hat mich überrascht. Überrascht hat mich auch Dein Argument, dass Fakten unzureichend sind, da jeder Mensch seine eigene Perspektive und sein eigenes “Framing” hat, was es unmöglich macht, sich auf eine Verurteilung einer Partei zu einigen oder sie für dieses Elend verantwortlich zu machen.

Ich widerspreche diesem relativistischen und subjektivistischen Ansatz und bin der Meinung, dass Menschen in solchen Kontexten aus einer einheitlichen oder sich überschneidenden Perspektive sprechen können, wenn sie sich grundsätzlich auf gemeinsame Grundlagen, Normen und Prinzipien einigen. Aus diesem Grund habe ich von Beginn unseres Dialogs an betont, dass ich nicht aus der Perspektive eines Syrers, Arabers oder Muslims sprechen würde, sondern aus einer allgemeinen humanitären, moralischen und politischen Perspektive, die auf dem Völkerrecht und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie den damit verbundenen moralischen Grundwerten und Prinzipien wie Gerechtigkeit und Fairness beruht. Ich behaupte, dass ich diese Perspektive auf Palästinenser und Israelis, auf Täter und Opfer gleichermaßen angewandt habe, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit.

Die deutsche Haltung, die Du einnimmst, hindert Dich jedoch daran, dies zu tun. Der grundlegende Widerspruch liegt nicht zwischen Deiner und meiner Sichtweise, sondern in Deiner eigenen Sichtweise. Du lehnst jede inhaltliche Rechtfertigung für die Verbrechen der Hamas am 7. Oktober ab und bezeichnest sie als abscheuliches Massaker, das allein der Hamas zugeschrieben wird. Wenn Du jedoch über die israelischen Verbrechen sprichst, vermeidest Du den Begriff “Massaker” und behauptest, dass es einen Kontext gibt, der sie rechtfertigt, und dass die Hamas allein dafür verantwortlich ist. Wenn Du außerdem die Verbrechen der israelischen Armee, des israelischen Staates, der Besatzung, der Besiedlung und der Verweigerung einer politischen Lösung im Einklang mit dem Völkerrecht vor dem 7. Oktober ansprichst, bist Du plötzlich nicht mehr in der Lage, ein Urteil darüber abzugeben, “wer für dieses Elend verantwortlich ist”. Vor dieser Urteilsunfähigkeit und auch danach hast Du der Hamas bereitwillig die volle Verantwortung für alle Opfer zugewiesen, nicht nur für die, die sie getötet hat, sondern für alle Opfer, die von Israel getötet wurden!

Ich möchte anmerken, dass ich mich nicht daran erinnern kann, dass Du jemals diese relativistische Tendenz gezeigt habst, als Du die absolute Notwendigkeit betont hast, dass (muslimische) Flüchtlinge und Einwanderer die deutschen Gesetze, das deutsche Grundgesetz und das darauf basierende Menschenrechtssystem respektieren müssen. Was die Nichteinhaltung der Gesetze durch Israel und die Besetzung von fremdem Land (nicht nur palästinensisches Land, sondern derzeit auch syrisches Land und früher auch ägyptisches, libanesisches und jordanisches Land) betrifft, so gibt es in dieser Frage verschiedene Sichtweisen, die alle gültig sind, je nach Deinem Standpunkt!

Ich sehe nicht, dass unser Dialog vorankommt, weshalb ich befürchte, dass wir in einer sich wiederholenden Schleife oder einem Teufelskreis feststecken könnten. Ich befürchte, dass ich viele meiner Gedanken und Argumente wiederholen muss (oder dazu gezwungen bin). Aus diesen und anderen Gründen werde ich mich im Folgenden auf kurze und prägnante Bemerkungen zu einigen der von Dir genannten Punkte beschränken.

Aus Deinen Worten geht hervor, dass Du anerkennst, dass Du nicht genug weißt, um viele Fragen zu beurteilen. Ich hatte gehofft, dass wir durch unseren Dialog einige Informationen erhalten würden, die uns helfen könnten, genügend Wissen zu haben, um einige wichtige und grundlegende Urteile zu fällen. So habe ich Dir bereits gesagt, dass alle arabischen Länder mit Zustimmung der Palästinensischen Autonomiebehörde seit 2002 eine Friedensinitiative mit Israel vorgelegt haben, die auf der Zwei-Staaten-Lösung, den einschlägigen internationalen Resolutionen und der arabischen und palästinensischen Anerkennung Israels basiert und die Bereitschaft zur Aufnahme normaler Beziehungen mit Israel beinhaltet. Israel lehnte die Initiative jedoch ab und weigerte sich sogar, darüber zu verhandeln. Israels Ablehnung jeglicher politischer Lösung auf der Grundlage des Völkerrechts und der internationalen Legitimität ist nicht auf diese rechtsgerichtete Regierung beschränkt; sie ist seit der Gründung Israels konsequent, und keine israelische Regierung hat sich bereit erklärt, einen unabhängigen palästinensischen Staat auf dem gesamten besetzten palästinensischen Gebiet zu akzeptieren. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dies in der (absehbaren) Zukunft ändern wird.

Du sprichst von der Möglichkeit, dass die Palästinenser den Staat Israel nicht wirklich akzeptieren werden und dass sie “alle Juden ins Meer stoßen” würden, wenn sie könnten, obwohl Israel derjenige ist, der den Staat Palästina nicht akzeptiert und palästinensisches Land beschlagnahmt, die Palästinenser vertreibt und an ihrer Stelle Siedlungen für Israelis errichtet. Selbst nachdem die Zahl der Siedler im Westjordanland und in Ostjerusalem auf etwa eine Million angewachsen ist, sagst Du, dass Du immer noch nicht in der Lage bist, die wahren Absichten der Israelis zu verstehen, und dass Du Dich nicht traust, sie zu verurteilen. Und selbst nachdem alle offiziellen politischen Vertreter der Palästinenser und der Arabischen Liga erklärt haben, dass sie die Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren und die Beziehungen zu Israel normalisieren wollen, sagst Du, dass Du die wahren Absichten der Palästinenser oder der Araber immer noch nicht verstehen kannst! Ich bin nicht in der Lage, diese Unfähigkeit zu kommentieren!

Zu Deiner Aussage “Die Hamas nutzt Zivilisten als Schutzschild und ist selbst für viele Tote in der eigenen Bevölkerung verantwortlich, weil sie aus Flüchtlingslagern und Krankenhäusern feuert”, würde ich nicht (nur) sagen: “Die Hamas konnte keine geeigneten Militäreinrichtungen erhalten und Israel hätte sie sofort zerstört”: “Die Hamas hätte keine geeigneten militärischen Einrichtungen und Kasernen erhalten können, und Israel hätte sie sofort zerstört”, sondern ich werde (auch) sagen: Nach internationalem, humanitärem und moralischem Recht hat Israel nicht das Recht, Krankenhäuser zu bombardieren, unter keinen Umständen, auch wenn diese (oft) falschen Behauptungen wahr sind. Aber leider rechtfertigst Du diese Bombardierung Israels und die daraus resultierenden Verbrechen und Opfer unter dem Vorwand dieser (falschen) Anschuldigungen. Was die Flüchtlingslager anbelangt, so solltest Du vielleicht wissen, dass der gesamte Gazastreifen ein Flüchtlingslager und ein Gefängnis ist und dass die meisten der etwa zwei Millionen Flüchtlinge zuvor aus den von Israel besetzten Gebieten vertrieben wurden und dass Israel nun erneut ihre Häuser zerstört und sie vertreibt, indem es Zehntausende von ihnen tötet, erniedrigt und inhaftiert.

Im Gegensatz zu einer (oder zwei) Demonstration(en) in Essen/Deutschland, bei der extremistische, selbst für die meisten Palästinenser, Araber und Muslime inakzeptable Parolen über den Kalifatsstaat und ähnliches gerufen wurden, gab es Dutzende von Demonstrationen von Palästinensern, Juden und anderen, die lediglich Parolen riefen, die ein Ende des israelischen Massakers forderten, ihr Mitgefühl mit den palästinensischen Opfern ausdrückten und die Verbrecher und ihre Unterstützer verurteilten. Die deutschen Vertreter konzentrierten sich jedoch auf diese kleine Minderheit von Demonstranten und stellten sie in den Mittelpunkt ihrer negativen Verallgemeinerungen, während sie die gültigen und legitimen Inhalte der Slogans und Sprechchöre der meisten anderen Demonstrationen ignorierten. Ebenfalls ignoriert wird, dass die meisten arabischen (muslimischen) Länder ihre Verurteilung der Hamas und des Anschlags vom 7. Oktober eindeutig erklärt haben. Hat hingegen irgendein deutscher Beamter die israelischen Verbrechen verurteilt? Im Gegenteil, die deutsche Regierung hat sich nicht damit begnügt, die in Deutschland und im Ausland erhobenen Forderungen nach einem Ende der israelischen Verbrechen in Gaza einzuschränken, sondern sie hat Israel medial, politisch, materiell und militärisch in jeder Hinsicht unterstützt. Dies ist, gelinde gesagt, eine beschämende und unethische Haltung, die jegliche Legitimität und Glaubwürdigkeit derjenigen, die die deutsche Position in Bezug auf Moral und Menschenrechte vertreten, zunichte macht oder aufhebt. Im Gegensatz zu denjenigen, die alle Palästinenser, Araber oder Muslime in einen Topf werfen, gibt es diejenigen, die damit begonnen haben, auch alle Deutschen in einen Topf zu werfen, und die feststellen, dass fast alle von ihnen die offizielle deutsche Position vertreten. Eines der Ziele meines Dialogs mit Dir war es zu zeigen, dass diese subjektive Meinung oder Verallgemeinerung falsch ist. Aber ich fürchte, dass viele in Deinen Worten und in unserem Dialog im Allgemeinen einen Beweis für die Richtigkeit ihrer unbegründeten Überzeugung oder Verallgemeinerung sehen werden.

Israel als Besatzungs- und Siedlungsstaat und nicht als Staat der Juden wird von Hunderten von Millionen Muslimen und Nicht-Muslimen gehasst. Ich sehe dies nicht als das (Haupt-)Problem an, solange es nicht mit dem Hass auf Juden einhergeht, weil sie Juden sind, oder mit dem Versuch, auf der Grundlage dieses Hasses Verbrechen zu begehen. Das (Haupt-)Problem ist die Besatzung, die Besiedlung, die Vertreibung, die Kriminalität und ihre Unterstützung. Für viele Muslime handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen Muslimen und Juden, sondern um einen Kampf gegen die Besatzung. Dies war die Position des Gründers der Hamas-Bewegung selbst, Scheich Ahmed Jassin, der erklärte, dass er und die Palästinenser oder Muslime kein Problem mit den Juden haben und dass sie vor der Besatzung friedlich zusammenlebten. Das Problem und der Kampf sind speziell mit der Besatzung verbunden. Diesen Konflikt oder Kampf hätte es auch dann gegeben, wenn diejenigen, die die palästinensischen Gebiete besetzt und die Bevölkerung vertrieben haben, keine Juden oder gar Muslime gewesen wären.

Ich glaube nicht, dass die Hamas für alle Menschenrechte kämpft, aber ich glaube, dass (die meisten) ihrer Mitglieder für die Befreiung ihres Landes von der Besatzung und den damit einhergehenden Siedlungen, der Unterdrückung und der Demütigung kämpfen. Der (militärische) Widerstand gegen die Besatzung ist ein Menschenrecht und nach dem Völkerrecht legitim. Aber ich sehe, dass die Hamas Terrorismus und Verbrechen nicht nur gegen Israelis, sondern auch gegen viele Palästinenser verübt hat. Ich möchte Dich daran erinnern, dass die Hamas ein Produkt der Besatzung ist, nicht umgekehrt. Die Besatzung gab es schon vor der Gründung der Hamas im Jahr 1987, und die israelische Besatzung, die Siedlungen, die Vertreibung und die Kriminalität gibt es im Westjordanland, das nicht von der Hamas regiert wird.

Was die Rede über säkulare Staaten im Islam angeht, so finde ich es in diesem Zusammenhang nicht relevant. Ich möchte Dich jedoch daran erinnern, dass Israel sich selbst zu einem jüdischen Staat erklärt hat, was Nicht-Demokratie und eine grundsätzliche Diskriminierung von Nicht-Juden sowohl im Prinzip als auch in der Praxis mit sich bringt. Aber das ist kein wichtiges Thema und wird auch nicht von denjenigen angesprochen, die die deutsche Position vertreten, die die Möglichkeit der Errichtung eines islamischen Staates fürchten, die die Möglichkeit eines demokratischen Staates leugnen und im Gegenzug über den Rassismus oder die Nicht-Demokratie des jüdischen Staates Israel schweigen, sondern seine Demokratie bejahen! Wieder einmal wird mit zweierlei Maß gemessen, das sich nicht auf das Völkerrecht oder das Menschenrechtssystem stützt, sondern auf Vorurteile, engstirnige Interessen und eine ständige Voreingenommenheit gegenüber einer Partei auf Kosten einer anderen.

Es ist mir peinlich und beschämend, meine Traurigkeit und meinen Schmerz beim bloßen Nachdenken über den Inhalt der deutsch-israelischen Position zu erklären. Mein Leiden ist in erster Linie das Ergebnis der Tatsache, dass die deutsch-israelische Position kognitiv nicht objektiv und ethisch ungerecht ist. Andererseits ist mein erwähntes Gefühl der Peinlichkeit und Scham darauf zurückzuführen, dass ich mir bewusst bin, wie leicht mein Leiden ist, verglichen mit dem, was die Palästinenser im Allgemeinen und die Bewohner des Gazastreifens im Besonderen unter der erwähnten deutsch-israelischen Position leiden. Und ehrlich gesagt, glaube ich immer noch nicht, dass es eine “vernünftige” Person gibt, die das notwendige Minimum an Wissen und Ethik besitzt, die eine solche Position einnehmen oder verteidigen kann. Aus diesem Grund habe ich nach wie vor ernsthafte Zweifel am Sinn und Nutzen eines Dialogs mit denjenigen, die eine solche Position vertreten.


Du bist unzufrieden mit unserem Gespräch? Wir drehen uns im Kreis, schreibst Du. Wie in einem Looping, immer dasselbe. Hast Du gedacht, mich so schnell zu überzeugen? In einem Bericht über eine israelisch-palästinensische Schule las ich heute den Satz: „Ziel ist nicht zu sagen, wer recht hat, sondern Verständnis für die andere Seite zu wecken“ (P. Münch: „Eine Insel des Miteinanders – Eine Schule im israelischen Be‘er Scheva unterrichtet gemeinsam jüdische und arabische Kinder“. SZ vom 30./31. Dezember 2023 und 1. Januar 2024; S.8). Mit Verständnis für die Position des anderen wäre schon viel erreicht.

Immer und immer wieder hast Du mir erklärt, zuerst seist Du Mensch, dann Araber, dann Syrer. Das ist Dir ganz wichtig. Ich kann solche Aufteilung bei mir nicht vornehmen. Ich bin immer zugleich Mensch, Frau, in Deutschland aufgewachsen. Ich kann meine Identität nicht abstreifen. Anders gibt es mich gar nicht, anders kann ich mich gar nicht denken.

In der Frühen Kirche gab es einen heftigen Streit darüber, ob Jesus Gott oder Mensch war. Und was zuerst? Zu wieviel Prozent war er Gott und zu wieviel Prozent war er Mensch? Zum Glück sind die alten Bischöfe zu der Einigung mit der Formel „unvermischt und ungetrennt“ gekommen (451 in Chalcedon, einem heutigen Stadtteil von Istanbul). Ein Paradoxon! Das ist eine grundlegende Denkform in der christlichen Dogmatik. Und ich würde es so auch von mir sagen: „unvermischt und ungetrennt“. Ich bin nur Mensch als Deutsche. Das ist ja gerade das Interessante an unserem Gespräch, dass ich als Deutsche denke und Du als Syrer. Ich brauche Deinen Blick, Dein Erleben. Und das Erleben vieler anderer Menschen. Es gibt kein neutrales Menschsein. In diesem Punkt scheinen wir uns grundlegend zu unterscheiden. Bei dieser Grunderkenntnis werde ich bleiben. Und Dein Interesse ist es ja auch, mit einer Deutschen zu reden und nicht nur mit irgendeinem Menschen. Oder? Wenn es z.B. heißt, dass bei dem Massaker am 7. Oktober Frauen von der Hamas missbraucht und vergewaltigt wurden, entsorgt wie ein Stück Dreck, dann trifft mich das als Frau besonders. Vor männlicher Gewalt musste ich mich mein ganzes Leben lang fürchten. Also: meiner Meinung nach gibt es kein „neutrales“ Menschsein. Das wird wohl ein Unterschied zwischen uns bleiben.

Weiter forderst Du von mir immer wieder eine Verurteilung Israels. Und ich verweigere sie. I am not the judge of the world! Die Juden wurden immer wieder verfolgt, Jahrhunderte lang. Dass das zu einer anderen Sicht der Welt führt, verstehe ich. Zu einer anderen Empfindlichkeit. Auch die Traumatisierung der Palästinenser durch die Vertreibung kann ich verstehen. Welche Reaktionen daraus resultieren, welche Missverständnisse, welche verpasste Chancen auf einen gelingenden Einigungsprozess, wage ich nicht zu beurteilen. Es ist nun mal nicht meine Sache, Schuld zuzuweisen.

Ich bin wie etwa die Hälfte der Israelis nicht einverstanden mit der rechten Regierung von Netanjahu. Dass er von „Rache“ spricht und alle Hamas-Anhänger vernichten will, finde ich abscheulich. Inzwischen rufen ihn auch die Amerikaner zur Mäßigung auf! Gegen diese Regierung und ihre Beschlüsse würde ich auch aufstehen! Er gefährdet die Demokratie in Israel!

Aber Dir geht es ja um Israel im Allgemeinen, nicht nur um die zur Zeit rechte Regierung.
Ich stehe zu dem Existenzrecht Israels. Und natürlich zu dem der Palästinenser!
Ich finde es gut, dass die Juden einen eigenen Staat haben. Judentum ist übrigens nicht nur definiert durch die Religion, sondern auch durch die Abstammung von einer jüdischen Mutter. Es gibt viele säkulare Juden! Israel hat dieser Definition nach viele Juden aus Afrika und dem Orient aufgenommen. Leider sind sie nicht mit den Juden aus Europa zusammengewachsen zu einer Gesellschaft. Die Spaltung innerhalb von Israel ist wohl eines der heutigen Probleme. Also: Ich bin für das Existenzrecht Israels in den verabredeten Grenzen. Darüberhinaus haben die Juden eine lange Geschichte mit dem Land.

Ich teile Deine Meinung nicht, dass wir uns nur im Kreis drehen. Lass uns überlegen, wie wir in Zukunft zusammen leben könnten, hier in Deutschland und in Israel und Palästina. Es ist schwierig genug.

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  1. Von einem meiner muslimischen Freunde hörte ich dieser Tage, dass er sich nicht erinnern könne, dass sich muslimische Staaten und „Organisationen“ jemals für ein Vergehen oder eine Tat entschuldigt hätten und eine Schuld für eine Tat gegenüber der Welt eingestanden hätten, so wie Deutschland zum Beispiel für die Gräueltaten des dritten Reichs.

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