VON WOLFGANG HORN
Das Attentat vom 9. Oktober 2019 in Halle hatte man schon fast vergessen. An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. hatte der rechtsextreme Täter erfolglos versucht, mit Waffengewalt in die Synagoge im Paulusviertel einzudringen, um die dort Versammelten zu töten. Danach erschoss er vor dem Gebäude die Passantin Jana Lange und in einem Imbiss den Gast Kevin Schwarze. Auf seiner Flucht versuchte er, weitere Personen zu erschießen, und verletzte zwei. Die monströse Tat streamte der Mörder mit einer Helmkamera ins Internet.
Am 7. September diesen Jahres dann das Massaker der Hamas. Ein unvorstellbarer Brutalitäts-Exzess, die schlimmste und teuflischste Gewaltorgie seit dem Holocaust: Es dauerte Wochen, um die Leichen von israelischen Frauen, Kindern und Jugendlichen zu identifizieren, denn diese Menschen waren von der Hamas geköpft, verstümmelt, vergewaltigt, zerschmettert, bei lebendigem Leib verbrannt worden.
Auch hier: Die Terroristen setzten mit Helm- und Bodycams die Welt in Kenntnis von der monströsen Bösartigkeit und der antisemitischen Inhumanität. Carolin Emcke hat sich in ihrer Kolumne in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Die toten Winkel der Empathie“ dem jüdischen Schmerz zugewandt
„Da ist der aktuelle, der seit dem Massaker die Angehörigen und die Freundesfamilien der Opfer martert, aber da ist, damit verkoppelt, auch der alte, erinnert oder vererbt, das Trauma der Shoah, das aufbricht. Überall um mich herum, in Israel bei den jüdischen Freundinnen und Freunden und hier bei uns, ist da die bittere Erfahrung der Schutzlosigkeit und des Alleingelassenseins. Jeder weitere Anschlag auf eine Synagoge, jede weitere antisemitische Verletzung wiederholt und vertieft die Verzweiflung, nirgends heimisch, nirgends sicher zu sein.“
Der Publizist Christian Nürnberger beschreibt diesen „toten Winkel der Empathie“ auf seiner Facebookseit: „Nie hätte ich gedacht, dass das auch in Deutschland möglich sei. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass Haustüren, hinter denen deutsche Juden leben, heute wieder mit Davidssternen markiert werden, und auch nicht, dass hier lebende jüdische Menschen wieder ihre Koffer packen und abhauen. Und nie hätte ich mir träumen lassen, dass jüdische Student:innen an US-Universitäten von einem antisemitischen Mob angegriffen werden und sich vor denen verbarrikadieren müssen, mit denen sie bis vor kurzem friedlich studiert hatten. Er war nie weg, der Antisemitismus, schwelte immer weiter, aber konnte von demokratischen Staaten halbwegs so unter Kontrolle gehalten werden, dass er nicht mehr zum großen Flächenbrand ausartete.“
Das anständige Deutschland, sich seiner historischen Verantwortung angesichts der gleichsam industriellen Vernichtung von Millionen Jüdinnen und Juden in Europa durch Deutschland bewußt, darf nicht gestatten, daß sich der muslimische Antisemitismus unter dem Deckmantel der Solidarität mit den Menschen in Palästina mit dem rechtsextremistisch-gewaltbereit-deutschen Judenhaß verbündet. In einem Wahljahr zumal, in dem neben dem Europaparlament auch in drei Bundesländern im Osten Deutschlands die Landtage gewählt werden und sich die nationalkonservativ-völkische AfD Erfolge erhofft.
Zur Auslotung der „toten Winkel“ der Empathie gehört auch, auch in einem Wahljahr nicht nachzulassen in der Unterstützung der Ukraine in ihrem auch für unsere Gesellschaft und ihre Grundüberzeugungen geführten Kampf. Die Handlanger Putins und seines despotischen Systems stehen auf der politisch äußerst rechten Seite.
Im in wenigen Stunden anbrechenden neuen Jahr geht es um die Demokratie, um die Sicherung einer offenen, liberalen und sozialen Gesellschaft gegen die immer brutaler werdende Sprache in sozialen Medien, die wachsende Feindseligkeit aller gegen alle, das in vielen Winkeln von Desinformation, Lüge, Hetze und Hass überquellende Internet, die um sich greifende Frauenverachtung, Homophobie, Sexismus, Rassismus und Nationalismus, die Vergiftung der Hirne durch Propagandamaschinen.
Wir, die Verantwortlichen und Mitarbeiter des Forum Wermelskirchen wünschen Ihnen alles Gute für das kommende Jahr, vor allem, daß die Krisen diesen Jahres zu einem guten Ende geführt werden können und sich die demokratische Gesellschaft im kommenden Jahr als stark und stabil erweisen wird.