Ändert sich das Fahrrad-Klima in Wermelskirchen?

Bei DNA-Analysen wird man beim Dellmann kaum ein Fahrrad-Gen finden

VON JOACHIM ZAPPE

Wermelskirchen | Da war ich einmal mehr als positiv überrascht. Frank Schopphoff, engagierter Wermelskirchener und Vertreter des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) hatte mit guten Argumenten einen Winterdienst für die Trasse vorgeschlagen, wohlwissend, dass dieser Dienst nicht in der Straßenreinigungssatzung vorgesehen ist, aber ein guter Service für die Wermelskirchener Bürger sein könnte. Nur zwei Tage später reagiert die Stadt – positiv! Harald Drescher vom Tiefbauamt stellt in Aussicht, sich dem Beispiel von Hückeswagen und Wipperfürth zeitnah anzuschließen und einen Winterdienst zügig umsetzen zu wollen. Sollte das etwa eine neue Rad-Ära, quasi einen Rad-Klimawechsel in Wermelskirchen einläuten? Das wäre mal eine gute Nachricht!

Stichwort „Radklima“: mit großer Spannung warte ich für die kommenden Wochen auf die Veröffentlichung des aktuellen „Radklima-Tests 2021“ des ADFC. Bis Ende November konnte man (diesmal nur) online an dieser Befragung teilnehmen. Mit über 25 Fragen stellt der ADFC mit diesem „Fahrradklima-Test“ regelmäßig die Situation des Radverkehrs in allen Städten der Bundesrepublik dar. Die Radfahrer selbst geben so als Alltagsexperten ein konkretes Feedback an Politik und Verwaltungen. 

Beim letzten Klimatest des ADFC 2019 (fahrrad-test.adfc.de) hatten 118 Dellmänner an der Befragung teilgenommen. Der ADFC war in der Stadt, z.B. am Gesundheitstag, als Ansprechpartner vor Ort präsent und konnte viele Bürger zur Teilnahme an der Befragung animieren. Im Ranking der Städte von 20 000 bis 50 000 Einwohner landete die „Kleinstadt mit Herz“ schließlich ziemlich weit hinten auf Platz 247 (von 294). Kein gutes Zeichen für eine radfreundliche Kommune und das vorherrschende Radklima.

Bis heute hat sich daran nichts geändert. Trotz aller Segnungen der Trasse mit ihren Freizeit- und Bewegungsmöglichkeiten, einer zunehmenden Zahl von Radfahrern und Berufspendlern sowie der durch oder besser um die Stadt herum strömenden Touristen – das Fahrradklima ist auch heute noch ausbaufähig. Zum Radklima fallen mir immer wieder die Schlaglichter ein, die sich bei mir fest im Gedächtnis festgebrannt haben. Hier die, die besonders aussagekräftig sind.

Es ist der Montag nach der Einweihung der Trasse. In meiner Morgenzeitung wird Bürgermeister Weik zitiert: „Wermelskirchen ist jetzt eine Radstadt“. Mir fiel vor Schreck das Frühstücksei vom Löffel, denn wenn Wermelskirchen eines nicht war oder ist, dann eine Fahrradstadt. Es gibt viele Traditionsvereine in Wermelskirchen, aber einen Radsportverein oder eine Vereinsabteilung hat es meines Wissens nie gegeben, während Remscheid und Solingen auf jahrzehntelange Rad-Traditionen zurück blicken. In Radevormwald ist sogar der beste deutsche Amateurradsportler aller Zeiten, Wilfried Trott, beheimatet.

Den Fahrradboom von heute gab es zur Trassenöffnung noch nicht. In den Gremien der Stadt war eher Skepsis und Halbherzigkeit denn Überzeugung für die Erstellung einer Trasse vorhanden. Der gemeine Wermelskirchener und die Entscheidungsträger der Stadt waren alleine aufgrund der Berge nie Radfahrer, höchsten im Hollandurlaub. Ohne den E-Bike-Boom wäre das auch heute noch so. Die Nachbarstädte waren in der Entstehungsphase der Trasse gefühlt engagierter und verursachten einen gewisser Druck auf Wermelskirchen. Wären das und natürlich die in Aussicht stehenden Fördermittel nicht gewesen, wer weiß, ob es so geworden wäre, wie es jetzt ist?

Unvergessen die Zeit, in der es den gegenläufigen Radverkehr in der Telegrafenstraße gab. Der Öffentlichkeit wird einiges geboten. Es ist ein Trauerspiel, das aufgeführt wird. Henning Rehse von der WNK ist einer der Hauptakteure. Er weiß natürlich, was Wermelskirchener denken, wie die Stimmung ist, was man tun muss. Die Lokalzeitung bildet Rehses Auto an neuralgischer Stelle in der Telegrafenstraße ab, und er lässt sich inhaltlich etwa so zitieren, dass es doch für ihn und andere wohl unzumutbar sei, für die Sonntagsbrötchen erst einmal einen Parkplatz suchen zu müssen. Zwei Minuten zum Brötchenholen, das muss doch wohl drin sein! Kurze Zeit später werden zwei meiner Radkameraden auf dem Weg zum Treffpunkt genau an dieser Stelle von einer aufgehenden Beifahrertüre ins Krankenhaus befördert. Schließlich: Mit Ende des gegenläufigen Radverkehrs lässt es sich Rehse nicht nehmen, höchstpersönlich und natürlich medienwirksam am Abbau der Schilder mitzuwirken. 

Die Stimmung gegen Radfahrer in der Innenstadt hat damit den Höhepunkt erreicht. Einmal, aber auch das letzte Mal, bin ich mit dem Rad von der Eich in die Telegrafenstraße gefahren. Nie wieder. Die mir entgegenkommenden Autofahrer fuhren provokativ so weit links, dass man selbst ganz vorsichtig rechts haltend nicht ohne Kollision hätte fahren können. Die hasserfüllten Blicke, die fluchenden Mimik aus dem Innern der Autos taten ein Übriges und zeigten mir: die Stimmungsmacher haben gewonnen.

Meine absoluten Lieblingsszenen sind aber die, die ich als Zeitzeuge in Live mitbekommen habe, und von denen ich glaube, sie würden sich erfolgreich als Slapstick verfilmen lassen. Szene 1: Im Stadtrat konnte man sich (wenigstens) auf einen Feldversuch einigen, den hinteren Teil der Telegrafenstraße ab Sparkasse zu sperren und den Verkehr rechts zum Brückenweg umzuleiten. Beschlossen, getan. „Durchfahrt- Verboten“- und „Rechtsabbieger“-Schilder aufgebaut, fertig. In den ersten Tagen sehe ich, dass vorwiegend Auswärtige rechts abbiegen, die Wermelskirchener aber ignorieren mehrheitlich die neue Regelung. Ohne jegliche Konsequenz. Kontrolle oder Knöllchen Fehlanzeige.

Szene 2: Wenig später sehe ich bei besagtem Schild drei honorige Herren, bewaffnet mit Klemmbrett. Einer in Uniform, wahrscheinlich Polizei, zwei in Zivil, höchstwahrscheinlich Verwaltung und Verkehrsamt. Sie schauen konzentriert und interessiert dem Treiben der Autofahrer zu, die munter an ihnen vorbei fahren. Nein, bei genauerem Hinsehen sehe ich keinen Mittelfinger in den Autos. Immerhin etwas. Ich denke mich in die Unterhaltung der drei Herren hinein. Herr 1 zu Herrn 2: „Ich glaube, die Wermelskirchener wollen hier nicht abbiegen“. Herr 3 zu den Herren 2 und 1: „Ok, alles klar, dann wollen DIE das wohl nicht“. Am nächsten Tag sind alle Schilder weg, der abgestimmte Feldversuch des Rates abgebrochen. 

Basisdemokratischer geht das doch wohl nicht, oder?

Beitragsfoto © Joachim Zappe

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Stefan Wiersbin
    • 03.02.21, 15:48 Uhr

    Denke, Wermelskirchen wird weiterhin im Ranking des „Radklima-Tests“ des ADFC in den hinteren Rängen zu finden sein. Traurig, aber wahr. Daran wird auch die geänderte Trassenführung entlang des Jugendfreizeitparks nichts ändern.

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