VON WOLFGANG HORN
Vorsätze habe ihren Platz am Jahresende, an Silvester, Wünsche ein paar Tage vorher, zu Weihnachten. Wünsche sind mehr Sache der Kinder, Vorsätze eher die von Erwachsenen. Verspätet, nicht zu Heiligabend, sondern danach, quasi zum Jahreswechsel und mithin zur Vorsatzzeit ist der Wunsch der Zukunft Wermelskirchen bei der Presse eingegangen. Nämlich daß ein Dellmann-Radio, ein Wermelskirchner Radiosender die auditive Berieselung der Wermelskirchener übernehmen möge.
Ein großer Wunsch in einer Zeit, in der de facto eine von ursprünglich zwei Lokalredaktionen der Presse von den Verlegern eingespart worden ist, weil der Markt zwei unterschiedliche Redaktionen auf herkömmliche Weise jedenfalls nicht mehr finanzieren kann. Eine Zeitung übernahm hier am Ort den überwiegenden Teil der Artikel aus der anderen Redaktion und in Remscheid lief und läuft das genau umgekehrt. So sind in beiden Städten fast zwei Redaktionen samt der freien Mitarbeiter und der Overheadkosten eingespart worden. In dieser Zeit also machen wir einen Konkurrenzsender zu Radio Berg und RSG auf, die über eine gewachsene Programmstruktur verfügen, über Programmmacher mit medialen Kompetenzen und guten Kenntnissen der lokalen und regionalen Gegebenheiten, die einen landesweiten Mantel geliefert bekommen, landesweite und nationale Nachrichten und die über eine eigene Betriebsgesellschaft nicht nur mit lokalen und regionalen, sondern auch mit überregionalen und nationalen Werbepartnern zusammenarbeiten können?
Ökonomisch, scheint mir, ist der Wunsch nach Radio WK noch nicht durchdacht worden. Hinter den lokalen Radios steht landesweit eine gewachsene Struktur von Veranstaltergemeinschaften und Betriebsgesellschaften, die wiederum in aller Regel Töchter der nordrhein-westfälischen Verleger mit entsprechendem publizistischem Know-How sind. Die enormen Kosten, für Lizenz, Redaktion, Produktion und Sendung, die jene einer gedruckten Zeitung erheblich übersteigen, dürften den lokalen Markt bei Weitem überfordern. Zudem: Wieviel Programm ließe sich aus dem Umfeld der Stadt Wermelskirchen dauerhaft generieren, gesetzt den Fall, daß sich genügend journalistisch qualifizierte Mitarbeiter finden oder ausbilden (von wem?) ließen? Täglich eine Stunde? Mehr? Weniger? Wer liefert den Rest? Wie soll sich dieser “Rest” von 23 oder weniger Stunden anhören? Ließen sich genügend Moderatorinnen und Moderatoren finden? Ist in einer Kleinstadt ein lokales Radio wirklich attraktiv? Was man sich für Köln vielleicht noch vorstellen kann, muß für Wermelskirchen jedenfalls nicht gelten.
„Radio verbindet die Zuhörer und führt die Themen und die Menschen der Stadt zusammen.” So Zukunft Wermelskirchen zum Radioprojekt. Das kann stimmen. Wenn das Programm eine entsprechende Reichweite ermöglicht. Nur konkurrierte Radio WK nicht nur mit Radio Berg. Sondern vor allem mit den immer noch großen Radioprogrammen der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Dazu muß man sich die Mediennutzungsdaten und Reichweitenuntersuchungen genau ansehen. Demnach haben die bisherigen Lokalsender die Dominanz der “Dampfradios” noch bei weitem nicht brechen können. Und: Das Radio steht, unabhängig von seiner Organisationsform, unter erheblichem Legitimations- und Akzeptanzdruck vor allem durch die Digitalisierung und das Internet. Radio WK wäre als New Player also im Wettbewerb mit privaten Lokalradios, mit den öffentlich-rechtlichen Stationen und den vielen, auch neuen Medienangeboten aus dem weltweiten Netz.
“Besteht überhaupt ein Interesse in der Wermelskirchener Bevölkerung? Ist so ein Projekt finanzierbar? Könnte die Stadt einen Beitrag dazu leisten? Können wir im ehrenamtlichen Bereich Bürger für die Idee gewinnen, die bei den Themen Moderation und Technischem Know-How ihre Kenntnisse einbringen würden?” So fragt Zukunft Wermelskirchen sich und die Bürger der Stadt. Zu Recht. Übers Interesse der hiesigen Bevölkerung weiß man jenseits von Spekulationen nichts. Moderation und Technik ehrenamtlich organisieren zu wollen, scheint mir die falsche Spur zu sein. Schon der sogenannte “Bürgerfunk”, also die Mitwirkung ehrenamtlicher Bürger und die nicht-professionellen Beiträge von Vereinen und Gruppen am NRW-Lokalfunk kranken seit Jahren durch die Bank am publizistischem Niveau der Beiträge und entsprechenden Hörerzahlen. Und die Stadt dürfte, selbst wenn sie alsbald das Regime der Haushaltskontrolle verlassen kann, kaum die finanzielle Kraft haben, sich neben Innenstadtgestaltung, Hallenbadbau, Schulrestaurationen, sozialem Wohnungsbau, Gewerbeansiedlung und vielen weiteren zentralen Aufgaben auch noch einen Radiosender an den Hals zu binden, von dem sich lange nicht wird sagen lassen können, welchen Gewinn die städtische Gemeinschaft vom eigenen Radio wirklich haben könnte.
Es ist ehrenhaft, über eine derartige Institution nachzudenken, vor allem, wenn der Grundgedanke eine „Plattform für alle möglichen Bezugsgruppen der Stadt“ ist, die “auch Künstler aus der Region” unterstützt. Es ist aber genauso ehrenhaft, Zweifel zu äußern und auf Probleme hinzuweisen. Ich glaube, daß ein Vorzug des Radios im Vergleich zu Zeitungen und Fernsehen ist, daß es ein sehr schnelles, aktuelles Medium sein kann, schneller als TV und schneller auch als Zeitungen. Und das Radio verbindet Welten. Es ist mittlerweile technisch kein Problem mehr, das Radio aus der Kleinstadt auch mit dem Land, der Bundesrepublik, und der großen, weiten Welt zu verbinden, mit dem, was soeben in London passiert beim Brexit oder in Washington bei der Wahlniederlage von Trump, über das Erdbeben im Kaukasus zu berichten wie über eine Preisverleihung in Venedig. Aber genau dies, nämlich ALLES, macht das Radio spannend. Die Welt im Großen wie im Kleinen. Eine kleine heile Welt alleine ist, seien wir ehrlich, nicht wirklich spannend. Schauen wir in die Lokalzeitung. Mitunter werden nicht einmal drei ganze Seiten über die Stadt berichtet. Das trägt nicht für einen ganzen Lokalsender. Drei Seiten mit Berichten, von denen lange nicht jeder einzelne auf das ungeteilte Interesse aller oder einer großen Mehrheit der Bürger trifft. Das lokale ist spannend für Medien. Aber nicht ganz alleine. Nur im Zusammenwirken mit Informationen aus anderen Ecken der Welt.
Und schließlich: Das Internet. Das Internet ist zweifellos das schnellste Medium. Aus der Vielzahl der Kanäle kann man sich jeweils das Interessanteste auswählen, entsprechende Medien- und Digitalkompetenzen vorausgesetzt. Dann haben wir den Zugriff auf textliche, auditive Informationen, audiovisuelle, grafische, animierte, Fotos, Bilder, Charts, Zeichnungen, Lieder, O-Töne, News, Kommentare, wissenschaftliche Berichte, Blogs, Essays, Vlogs – kurzum: die ganze mediale Vielfalt. Und aus eben diesem Grund gehe ich nicht auf die vermeintliche politische “Neutralität” ein. Was politische Neutralität angesichts überbordender Informationsvielfalt und der Eigenschaften von Sprache wirklich bedeuten kann, wäre gewiß einen eigenen Beitrag wert.
Zusammengefaßt: Ich gehe davon aus, daß der lokale Sender Zukunft Wermelskirchen eigentlich keine Zukunft haben kann. Weil auch ein lokales Radio nicht ohne enorme finanzielle Mittel bestehen kann. Weil der journalistische Themenraum für ein umfassendes Radioprogramm zu klein ist. Weil ein lokales Radio einer enormen ökonomischen und publizistischen Konkurrenz ausgesetzt wäre. Der Wunsch von Zukunft Wermelskirchen ist als Wunsch und als Vorsatz nicht realisierbar. Aber vielleicht kann er Anstoß sein, über eine andere Plattform für lokale Themen in auditiver oder anderer digitaler Forum nachzudenken und dafür ein geeignetes Forum zu finden.