Freitag, 17. Mai (19 Uhr): Bingo im Haus Eifgen

Blind durch Coronazeiten – ohne anzuecken. Geht das?

VON DANIELA ALI 

Den Beitrag von Daniela Ali entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch Gladbach, in-gl.de:

Für Menschen mit einer Sehbehinderung bringt Corona einige neue Probleme. Unsere Autorin Daniela Ali ist blind, sie hat einige Erfahrungen im Umgang mit sehenden Menschen gesammelt und nennt 10 Dinge, die sich (fast) blinde Menschen von ihren Mitmenschen wünschen.

Die Zeiten, in der man blinde und sehbehinderte Menschen tagsüber auf die Bank am Kachelofen setzte, weil man glaubte, dass sie eh nichts selbstständig können, haben wir hinter uns gelassen. Puh, was habe ich doch für ein Glück im Hier und Jetzt zu leben.

Dank Rehalehrer, die mir nicht nur beigebracht haben, mich mit dem Blindentaststock (Weißer Stock) zu orientieren, sondern auch viele Fertigkeiten z.B. im Haushalt selbstständig zu verrichten, bin ich ziemlich selbstständig.

Und trotzdem, ohne sehende Augen und einer guten Kommunikation sind viele Dinge einfach nicht möglich. Das gilt in Coronazeiten besondern, in bestimmten Situationen bin ich noch mehr auf eine gute verbale Unterstützung angewiesen.

Den meisten Menschen mit Sehbeeinträchtigung sind die AHA-Regeln sehr wichtig. Das liegt nicht nur, aber oft, daran, dass sie noch andere gesundheitliche Probleme haben, die sie zu Risikopatienten machen.

Doch wie hält man im Supermarkt Abstand, wenn man die anderen Kunden im Laden nicht hört (weil die Schuhsohlen und der Mensch selbst zu leise sind) und man die Markierungen an der Kasse nicht sehen kann? Tasten kann man diese übrigens auch nicht; dafür sind die Klebestreifen oder Pinselstriche viel zu dünn.

Genauso „unsichtbar“ sind auch die Laufrichtungshinweiseise, die als Text aufgestellt oder aufgehängt sind, wie sie in Shopping-Centern und Museen zu finden sind.

Erst verbale Hinweise, also Menschen, die einen ansprechen und auf solche Regelungen hinweisen und uns auch, verbal helfen, diese zu meistern, machen eine Teilhabe, außerhalb der eigenen vier Wände, möglich.

Zu Nicht-Coronazeiten lässt man sich gern von einem hilfsbereiten Mitmenschen helfen. Begleitet uns jemand, fasst der Blinde den Sehenden (nicht umgekehrt!) am Ellbogen. So geht der Sehende eine halbe Schrittlänge voraus und der Blinde hat durch diesen Abstand die nötige Reaktionszeit, um selbst entsprechend reagieren zu können.

Hierbei hat man aber keinen 1,5 m Abstand. Und auch Blinde möchten im Allgemeinen, dass diese zur Zeit eingehalten werden. Worauf beim Führen und assistieren in Coronazeiten besonders zu achten ist, hat schon im März ein Virologe für den DBSV erklärt.

Wenn das Sehen so schlecht ist, dass ein Blindenstock benötigt wird, braucht man Orientierungspunkte/-leisten. Wie etwa ein Blindenleitsystem. Mal abgesehen davon, das man nicht immer andere Passanten hört, ist es auch fast unmöglich diesen auszuweichen.

Der weiße Stock ist das offizielle Erkennungszeichen für stark sehbehinderte und blinde Menschen. Es wäre daher nett und rücksichtsvoll, wenn Sehende die aktuell so wichtigen Abstand halten würden. Und wenn das mal nicht geht, sich zumindest bemerkbar machen/das kommunizieren.

Leider passiert es mir immer wieder, dass Leute haarscharf an mir vorbeilaufen. Selbst wenn ich ganz dicht am Rand gehe. 

Der Tag der Sehbehinderten, der seit 1998 jährlich am 6. Juni begangen wird, lag in diesem Jahr auch schon in der Coronazeit. Für diesen Tag wurde eine Liste von „Hilfewünschen“ zusammengetragen, aus einer Umfrage unter den Mitgliedern des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes. Diese Wünsche wurden in zehn Kernaussagen zusammengefasst – denen ich mich anschließe!

„Welche Unterstützung wünschen Sie sich von sehenden Menschen in Corona-Zeiten?“

Zu diesem Thema hat der DBSV im Mai 2020 eine Umfrage unter sehbehinderten und blinden Menschen durchgeführt. Hier sind die am häufigsten genannten Wünsche nach Themenbereichen sortiert.

  1. Hilfe anbieten: Wie viel Hilfe ein sehbehinderter Mensch braucht, hängt unter anderem ab von seiner Erfahrung, seinem Wissen und seiner Tagesform. Aber Hilfe anzubieten, ist niemals falsch und auch aus sicherer Entfernung möglich. Ein Satz wie „Die Dame mit dem weißen Stock – kann ich Ihnen helfen?“ ist völlig in Ordnung.
  2. Reden: In Zeiten des Abstandhaltens sind sehbehinderte und blinde Menschen noch mehr als sonst darauf angewiesen, dass man mit ihnen spricht. „Ich sag Ihnen gern Bescheid, wenn Sie dran sind.“ „Einen Meter rechts von Ihnen ist ein Spender für Desinfektionsmittel.“ „Wenn Sie einen Schritt zurückgehen, stehen Sie hinter der Markierung.“ Ein Großteil der Befragten kann gar nicht genug von freundlichen Hinweisen dieser Art bekommen.
  3. Abstand halten: Ob auf dem Bürgersteig oder in der Straßenbahn – viele Menschen mit Seheinschränkung bekommen nicht früh genug mit, wenn ein zu geringer Abstand droht. Deshalb sind sie darauf angewiesen, dass man ihnen ausweicht. Und sollte das nicht möglich sein, weil man im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand steht: Einfach etwas sagen!
  4. Busfahren: Wenn der vordere Bereich in Bussen abgesperrt ist, können sehbehinderte und blinde Menschen nicht mehr wie gewohnt beim Fahrer einsteigen, ihn fragen, auf welcher Linie er fährt, und sich dann auf die vorderen Plätze für schwerbehinderte Menschen setzen. Deshalb ist es hilfreich, wenn jemand anbietet, die an der Haltestelle ankommenden Buslinien anzusagen und bei der Suche nach Bustür und Sitzplatz als „Navi“ zu dienen.
  5. Einkaufen: Viele Befragte haben Schwierigkeiten mit der Pflicht, einen Einkaufswagen zu benutzen, weil das den Einsatz ihres weißen Stockes erschwert. Wer Nudelpackungen abtastet, um die richtige Sorte zu erwischen, muss sich auf böse Kommentare gefasst machen. Auch Abstandsmarkierungen, die mit dem Stock nicht ertastet werden können, sorgen für Probleme. In vielen Situationen wäre mehr Gelassenheit beim Personal und den anderen Kunden sehr willkommen.
  6. Neue Regeln: Seit März werden vielerorts Zettel ausgehängt, um die Zahl der Kunden zu beschränken, Eingang und Ausgang zu trennen, das Hygiene-Konzept vorzustellen … Die Befragten würden die neuen Regeln gern beachten, können die Zettel aber nicht lesen und benötigen deshalb Unterstützung. Hinweise könnten beispielsweise in großer Schrift oder als E-Mail angeboten, im Internet veröffentlicht oder vom Personal und anderen Kunden vorgelesen werden.
  7. Kontraste: Viele Bereiche in Supermärkten, Arztpraxen, Bäckereien etc. sind in den vergangenen Wochen mit transparentem Plexiglas „verbarrikadiert“ worden. Sehbehinderte Menschen stoßen sich daran die Köpfe und verbringen viel Zeit damit, die „Durchreiche“ zu suchen. Was spricht dagegen, die Ränder der Scheiben mit kontrastreichem Klebeband zu markieren? Auch der Kontrast von Markierungsstreifen zum Fußboden könnte oft optimiert werden.
  8. Masken: An alle Träger von Mund-Nasen-Bedeckungen geht die Bitte, besonders klar und deutlich zu sprechen, weil die Maske die Verständlichkeit reduziert. Während sehende Menschen das mit sprachbegleitenden Gesten ausgleichen können, sind blinde und auch viele sehbehinderte Menschen voll und ganz auf die Stimme des Gegenübers angewiesen. Einige der Befragten wünschen sich Verständnis dafür, dass sie aufgrund einer bestimmten Seheinschränkung keine Maske tragen – sie könnten sonst gefährliche Hindernisse wie abwärts führende Treppenstufen nicht mehr erkennen.
  9. Warteschlangen: Die neuartigen „Corona-Schlangen“ mit Abstand zwischen den Wartenden sind für viele sehbehinderte und blinde Menschen ein Buch mit sieben Siegeln. Sie würden sich freuen zu erfahren, dass es eine Schlange gibt, ob sie zur Post oder zum Bäcker führt, wo man das Ende der Schlange findet und wann man vorrücken soll.
  10. Verständnis: Zahlreiche Befragte geben an, dass sie sich kaum noch aus dem Haus trauen, aus Sorge, etwas falsch zu machen. Sie wünschen sich weniger Bemerkungen wie „Steht doch da“ und „Warum nehmen Sie sich keine Begleitung mit“. Stattdessen wünschen sie sich mehr Gelassenheit, mehr Hilfsbereitschaft, mehr Kommunikation und mehr Verständnis für ihre Situation.

Daniela Ali
Ich bin in Bergisch Gladbach geboren und lebe bis heute in der Stadt. In der Grundschulzeit bekam ich eine chronische Augenentzündung. Sie verläuft progressiv und so verhielt es sich auch mit meinem Sehvermögen. Seit über 20 Jahren bin ich juristisch blind. Der Blindenlangstock ist nach einer weiteren Verschlechterung vor 10 Jahren mein ständiger Begleiter. Wie es sich für einen guten Rentner gehört habe ich nie Zeit. Sport – um fit zu bleiben -, soziales Engagement, Lesen, Wandern, Freunde treffen, Kochen, Handarbeiten, Kultur im weitesten Sinne und noch vieles mehr. Inzwischen bringe ich vermehrt Hobbys mit dem Bestreben, Inklusion voranzutreiben, unter einen Hut. Es ‘lernt’ sich besser, wenn man Spaß dabei hat.

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