“Gebrochene Glut” von Hans-Dieter Grabe (3Sat, So 03.07.2016, 04.20-05.55)

Von Fritz Wolf

Ein Dokumentarist filmt einen Dokumentarist, der ein Maler ist, bei der Arbeit. Ein Porträt, ein Blick auf einen Schaffensprozess und ein lange nicht mehr gesehener Dokumentarfilm von 2001, dankenswerterweise von 3Sat aus dem Archiv geholt und nur für Frühaufsteher. (3Sat, So 03.07.2016, 04.20-05.55)

Wer zu Jürgen Böttcher auf Besuch kommt, bekommt erst mal Tee serviert. Auch der Dokumentarist Hans-Dieter Grabe (zuletzt „Mendel lebt“) kam auf Besuch, trank auch Tee und brachte seine Videokamera in Stellung. Das Ergebnis ist der Film „Gebrochene Glut“ über Jürgen Böttcher, den Film-Dokumentaristen, der sich als Maler Strawalde nennt. Im Westen ist er bis heute wenig bekannt, als Maler im Osten war es vor der Wende auch nicht, weil als Abstrakter schikaniert und verschwiegen. Böttcher und Grabe kennen sich, sie studierten eine Zeitlang gemeinsam Dokumentarfilm und hörten gemeinsam Jazz, ehe Grabe in den Westen ging und Böttcher in der DDR blieb.

Grabes Künstler-Porträt ist eine Annäherung und so sperrig und eindringlich wie der Böttcher selbst. Auch Grabes Kamera kommt auf Besuch. Streift durch des Malers Wohnung, schaut seine Bilder an, lässt sich zeigen, was er so findet in der Welt. Abenteuerlich aussehende Pflanzen oder zerdrückte Bierdosen, die wie eine Bronzeplastik aussehen, fast. Dann sagt Böttcher wieder seinen Lieblingssatz und sein künstlerisches Credo: „Die Dinge unterhalten sich miteinander“.

Als Höhepunkt zeigt Grabe, wie ein Ölbild entsteht. Böttcher malt und erklärt, was er da tut und warum. Erst wirkt alles zufällig und beliebig. Er patscht mit dickem Pinsel verdünnte Farbe auf die weiße Leinwand, dass sie herunterläuft. Er setzt hier einen Farbstrich und da einen und weiß noch nicht genau, was wird. Dann zeigt sich, er hat das Farbklima des Bildes entworfen. Böttcher beschreibt seine Arbeitsweise wie eine Aggression: schnell müsse er die leere Fläche der Leinwand erobern. Und häufig benutze er vermischte, dreckige Farben „die aus einer dreckigen gebrochenen Glut sich entwickeln“.

Nur auf den ersten Blick widersprechen sich der Dokumentarist Böttcher, der mit „Wäscherinnen“, „Hochofen“ und „Rangierer“ für die DDR bedeutende, genaue und strenge Filme gedreht hat und der Maler Strawalde, der sich auf der Leinwand in freier Manier und mit allen Variationen ausdrückt. „Bilder aus der Wirklichkeit schlagen“, so nennt Böttcher seine Arbeit in beiden Medien. Und als eine solche Art Bildhauerei lässt sich auch etwa sein Film „Konzert im Freien“ lesen, entstanden 2001, nach zehn Jahren Drehpause. Vor das Marx-Engels-Denkmal in Berlin, einen steinernen Rest der DDR, setzt er zwei Jazz-Musiker, der wunderbare Drummer Günter „Baby“ Sommer ist dabei, und lässt sie improvisieren. Da heben sie wunderbar ab, die steifen Herren im Jackett, Marx und Engels, mitten in Berlin.

Hans-Dieter Grabe selbst hat sich als Autor in seinem Film ganz zurückgenommen – der Purismus seiner späten Arbeiten. Dokumentarfilm in Reinkultur: Er habe, sagt Grabe, seinem Protagonisten keine Anweisungen gegeben, nicht um kameragünstige Wiederholung von Geste, Gang oder Gespräch gebeten und künstliches Licht vermieden. Mit dieser spartanischen Haltung, die opulente Bilder dennoch nicht verschmäht, gelingt es Grabe, dem Künstler Böttcher und den Motiven seiner künstlerischen Produktion sehr nahe zu kommen. Sein Film zeigt eine künstlerische Welterfahrung – und ist selbst eine.

www.wolfsiehtfern.de

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