ES MÜSSEN NICHT MÄNNER MIT FLÜGELN SEIN

Ein Wort zum Montag, dem 8. Januar 2024

VON CORNELIA SENG

Aufmerksam betrachtet das kleine Mädchen das Gemälde. In den Weihnachtsferien sind mehr Menschen im Museum, in der Gemäldegalerie „Alte Meister“ in Schloss Wilhelmshöhe. Auch Familien mit Kindern. 

Das Mädchen steht vor einem großen alten Gemälde, das den Tod der Kleopatra zeigt. An der nackten Brust der Königin hat sich eine Schlange festgebissen. Dienerinnen wischen sich die Tränen. Dienstbeflissen neigen sich zwei ältere, faltige Herren der Königin zu. Der Blick der Kloapatra zeigt an, dass der Tod nahe ist. Sie wollte dem politischen Konkurrenten nicht den Triumph gönnen und ist ihm durch Suizid durch Schlangenbiss zuvorgekommen.

Was das kleine Mädchen wohl sieht in dem Bild? Ich sehe ihr an, dass das Bild sie beschäftigt. Wie wird sie die Geschichte begleiten in ihrem Leben?

Welche Geschichten prägen unser Leben? 

Ich bin heute hier, um mir das Bild über Lots Flucht aus Sodom anzusehen. Pieter van Lint, ein holländischer Maler, hat es zwischen 1640 und 1650 gemalt. Zwei Engel drängen Lot, seine Frau und seine zwei Töchter zur Flucht. Rechtzeitig vor der Katastrophe, dem Untergang der Stadt. Sie sollen nicht mit umkommen, wenn die Stadt untergeht. Gott nimmt Lot und seine Familie in Schutz (1.Mose 19).

Es war nicht leicht, die Geschichte in der Schule zu besprechen. Die Schüler und Schülerinnen waren irritiert über die Erzählung. Zu Recht! Vor der Katastrophe kehren die zwei Engel bei Lot ein. Doch der verderbte Mob der Stadt fordert von Lot die Herausgabe der Engel. Als schöne junge Männer werden sie in der Bibel beschrieben. Und Lot bietet  – ganz Patriarch – der aufgebrachten Menge seine Töchter zum Vergnügen an. Töchter gelten als Eigentum des Vaters. Das mag damals niemanden irritiert haben. Heute stört uns das sehr. Hatte Gott keine anderen Möglichkeiten zu helfen? 

Wie Jesus diese Geschichte wohl gesehen hat? Er hat einen respektvollen Umgang mit Frauen gepflegt und Frauen oft erwähnt. Durch seine Augen müssen wir die Geschichte sehen. „Was Christum treibet“, hat Martin Luther das genannt. Wir müssen die alten Geschichten von Jesus her lesen. Dann wird plötzlich anderes wichtig und groß!

Ob der alte holländische Maler das auch so verstanden hat? Mir scheint es so. Auf seinem Bild dreht sich Lot liebevoll besorgt nach seinen Töchtern um. Einer der zwei Engel scheint ihn vertraulich zu ermuntern. Der andere weist ihm schützend den Weg. 

Wegen dieser Geschichte bin ich hier! So begleitet sie mich schon mein Leben lang. Selbst in schwierigen Zeiten weisen Gottes Mächte den Weg. Sie ermuntern und schützen. Diese Geschichte ist es wert, sie im Gedächtnis zu behalten! Sie macht Mut, sie stärkt. 

Die Begleitung von Gottes guten Mächten wünsche ich uns – auch im Neuen Jahr. 

„Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel. …

Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand.
Oder er wohnt neben dir, Wand an Wand,
der Engel.

Dem Hungernden hat er das Brot gebracht,
der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht.
Er hört, wenn du ihn rufst in der Nacht,
der Engel.

Er steht im Weg und er sagt: Nein,
der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein.
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.“

(Rudolph Otto Wiemer) 

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