Es wird kalt in Deutschland. Nein, nicht meteorologisch. Gesellschaftlich. Politisch. Es wird eisig. Anstand und Respekt erfrieren. Vernunft und Mäßigung, Zivilität und Kultur. Vor wenigen Tagen haben wir hier und hier schon über den ekelhaften Identitätsklau und die Verleumdung von Cornelia Seng berichtet, der Gründerin der Flüchtlingsinitiative „Willkommen in Wermelskirchen“.
Und nun gibt es schon den nächsten widerwärtigen Fall von Verleumdung und übler Nachrede, von Beleidigung und persönlicher Verfolgung durch rechtspopulistische, nationalkonservative oder andere Grüppchen im Tarnanzug der Alternativen. Diesmal im Visier der Schmierfinken: Bürgermeister Rainer Bleek.
Heute morgen wurde auf die Internetseite der SPD in Wermelskirchen eine Hetzschrift gegen den Bürgermeister gepostet. Anlaß für die ach so mutige Tat anonymer Hetzer war ein Bericht in der lokalen Presse. Bürgermeister Rainer Bleek hatte, von der Lokalpresse befragt, anläßlich des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt sein Mitgefühl mit den Opfern und Angehörigen zum Ausdruck gebracht und zugleich bekundet, daß in Wermelskirchen halbmast geflaggt werde, man ansonsten von weiteren Trauerkundgebungen aber absehe, da man dann hätte beinahe täglich eine derartige Kundgebung durchführen müssen wegen des Elends, das etwa die Menschen in Aleppo alltäglich erlitten,
Unter Angabe der persönlichen Telefonnummer und der Email-Adresse von Rainer Bleek hat ein Häufchen wilder, vor allem südwestdeutscher und süddeutscher Internetschmierfinken einen, tja, Text?, nein: einen Schmäh-Text verfaßt. “Der Schild, Verteidiger des Eigenen”, so nennt sich der Verbalstoßtrup. Im typischen Denunziantenduktus heißt es, Bürgermeister Bleek verhöhne die Opfer von Berlin, sie seien dem durch die Genossen Bleeks zu verantwortenden importierten Terror zum Opfer gefallen und dergleichen geschmacklose, aber aus dem Netz sattsam bekannte Sentenzen mehr. Aus diesem Anlass hätte der Rabaukenhaufen rund um das Wermelskirchener Rathaus Plakat-Anschläge angebracht, in denen „Kritik an dem roten Bürgermeister und seiner Partei geübt“ werde. Die “Kritik” lautet: “Bürgermeister Rainer Bleek (SPD) ist eine Schande für Wermelskirchen!”
Diese semantisch und syntaktisch traurige Hervorbringung in deutscher Sprache wird auf Facebook vielfach geteilt und häufig, wie soll man sagen, “kommentiert”. Einer fordert in seinem „Kommentar“ dazu auf, Bürgermeister Bleek zu verklagen. Ein anderer, Pete, Meister der Tarnung, denn ein Fröschlein dient als Profilbild, nennt Bleek einen “ganz erbärmlichen Menschen”, für den sich “seine Familie schämen” solle. Wohlgemerkt, die Leute stammen nicht aus Wermelskirchen. Sie rotten sich zu einem Verbalrammbock zusammen, ohne irgendeine Kenntnis der Personen, der hiesigen Verhältnisse, der konkreten Umstände, ohne irgendetwas zu wissen. Der Nächste läßt die Katze dann aus dem Sack: „Nur noch AfD wählen. Dann wird das alles ein Ende nehmen mit diesen alten Parteien. AfD wählen.“ Und ein offenbar profunder Kenner der lokalen Verhältnisse schreibt, das Logo von Dynamo Dresden anstelle eines Gesichtes zeigend: „Ein armseliges kleines völlig nutzloses Männlein“. Ein Frau, Dame kann man nicht wirklich sagen, eine Frau, die die Kanzlerin als „Mörderin am deutschen Volke“ bezeichnet, beleidigt den Bürgermeister von Wermelskirchen als „letzten Abschaum“, ein selbsternannter Kreuzritter schreibt: „Was für eine asoziale Drecksau.“ Wohlgemerkt: Alles unter der Angabe der Klarnamen. „AFD wählen. Weg mit den ganzen Altparteien“, so lautet das nächste Statement, verfaßt von jemandem aus Limburg. „So redet jemand, der sich im Krieg mit dem eigenrn Volk befindet.“ Ein anderer Originalton, samt Rechtschreibfehler. Eine Frau postet diesen Satz: „Ja finde ich wirklich das es eine Respekt lose aus sage gegenüber zu seinem volk ist und das noch von einem Bürgermeister.“ Der arme Satz. Lydia, die Urheberin, versteckt sich in Facebook hinter einem Herder-Zitat. Wenn der arme Johann Gottfried Herder, Dichter, Übersetzer, Theologe sowie Geschichts- und Kultur-Philosoph, wüßte, was so alles an sprachgewaltigen Menschen hinter seinem Rücken kauert. „Weg mit den Altpateien , ich wähle A F D.“ Noch ein Bekenntnis, von Thomas. „Macht ihn platt”, fordert ein Merkel-muß-weg-Jünger namens Lars. Die SPD wird als „Scharia Partei Deutschlands“ bezeichnet. Von jemandem, der den Zuspruch zur AfD nach dem Berliner Anschlag steigen sieht. Max Lieberman hat beim Betrachten des Fackelzuges zur Machtergreifung Adolf Hitlers gesagt: “”Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.” Mir geht es bei dieser Lektüre von Sympathisanten, von Menschen aus dem Umfeld der AfD ähnlich.
Es wird kälter in Deutschland. Wie heißt es bei Wilhelm Heitmeyer, dem Bielefelder Professor und Konfliktforscher: “Selbst in gebildeten und gut situierten Kreisen macht sich eine rohe Bürgerlichkeit mit einem Jargon der Verachtung gegen Schwächere breit. Es wird abwertend und diskriminierend geredet (…). Vor allem bei Menschen über 60 ist die Abwertung schwacher Gruppen stark ausgeprägt. Ein erheblicher Teil der älteren Bevölkerung fühlt sich von der Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse überfordert. (…) Manche Teile der Bevölkerung sehen dies als Bedrohung ihrer Normalität oder gar der „deutschen Identität.”
Bürgermeister Rainer Bleek hat heute Morgen den Staatsschutz eingeschaltet. Es wird kälter in Deutschland.
Es verschlägt einem den Atem, was sich Menschen, in der “Anonymität” des Internets trauen bei Facebook zu posten. Wie heute als Kommentar unter besagten Post in „Der Schild, Verteidiger des Eigenen“ bei Facebook zu lesen ist, handelt es sich um eine Aktion örtlicher Aktivisten. – Da sich aus den Kommentaren ergibt, dass es sich bei der genannten Facebook-Gruppe um ein Sammelbecken für Sympathisanten der AFD handelt, ergeben sich einige Fragen.
Ist diese Form der undemokratischen politischen Auseinandersetzung der Stil der örtlichen AFD/der AFD auf Bundesebene?
Die politische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen, den unterschiedlichen politischen Positionen darf und muss kontrovers geführt werden.
Wer jedoch in der politischen Auseinandersetzung zum Mittel der persönlichen Diffamierung greift, verlässt das Spielfeld der demokratischen Auseinandersetzung und greift den politischen Gegenpart persönlich an.
Dieser seit einiger Zeit umgreifende Stil der politischen Auseinandersetzung, greift letztlich nicht nur einzelne politische Akteure an, sondern unsere DEMOKRATIE.
Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass diese anonymisierten Hirnfürze wirklich von echten Menschen stammten. Deswegen lade ich alle wirklich humanoiden Verfasser im eigenen Interesse zu einer echten Diskussion ein – von Angesicht zu Angesicht. Termin: 5. Februar 14:00 h, der Ort wird noch bekannt gegeben. Wenn dann keiner kommt, wissen wir ja, dass es nur Bots sind, und wir müssen uns nicht mehr aufregen sondern die Kommentare einfach löschen. Bin ja mal gespannt.
Dass es nicht nur Bots sind, können wir gerade heute auf der SPD-Facebookseite erleben: Die “Schilder” haben eine “Gegendarstellung” verfasst, die sie bei uns gepostet hatten. Wir haben das gleich gelöscht, um diesen Provokateuren keine Plattform zu bieten. Danach direkt ca. (Stand jetzt, 22:40 Uhr) 10 weitere Versuche von “Privatpersonen”, allesamt Aktivisten der “Schilder”, den Artikel doch noch zu platzieren. Alle aus völlig anderen Teilen Deutschlands. Haben wir alle gelöscht.
Aber auch die Bots scheinen aktiv: Zu unserem Titelbild “Gegen Hetze” mindestens ein “wütendes Gesicht” von einer sowieso Schreiber, deren Kontakte/Freunde allesamt in den USA sitzen. Wachsamkeit ist gefordert.