VON WOLFGANG HORN
Bilder dominieren in der modernen Welt auch die Politik. Die Politik entscheidet, verabschiedet Gesetze und Regeln, beschließt Verfahrensweisen und Maßnahmen, teilt Geld zu, Investitionsmittel, erarbeitet Grundlegendes und differenzierte Einzelheiten gleichermaßen. Politik ist kompliziert, schwierig, uneindeutig meist. Und deswegen entscheiden oft einfache Bilder über Politik, ihre Wertschätzung beim Beobachter, bei Bürgern und Wählern, die nicht immer in allen Einzelheiten durchdringen können und müssen, mit welch komplizierten und sich wechselseitig bedingenden Sachverhalten Politik sich Tag für Tag mühen muß. Der Kniefall von Willy Brand in Warschau wurde gleichsam zur ikonographischen Bitte um Vergebung, zur Vergebung historischer Schuld, die Deutsche, Deutschland auf sich geladen hatte. Die Verbeugung von Björn Höcke vor dem soeben in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählten Thomas Kemmerich bestach durch ihre formale Ähnlichkeit mit der Kopfhaltung der Hitlerschen Verbeugung vor dem greisen Reichskanzler Hindenburg. Ein fatal-falsches Zeichen für bloß formale Verehrung bei innerer Hybris. Die Verachtung für die Annahme der Wahl durch den Ministerpräsidenten kommt im Bild des achtlos dahingeworfenen Blumenstraußes der Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke in Erfurt zum Ausdruck, mit dem Sie die Zuhilfenahme der AfD-Stimmen durch Thomas Kemmerich gleichsam kommentiert. Eine verbale Entgegnung hätte gewiß nicht niederschmetternder sein können. Und schließlich: Die gestrige Verweigerung des Handschlages für Björn Höcke durch den eben gewählten Ministerpräsidenten Ramelow, ebenfalls in Erfurt. Eine Zurückweisung, ein Ausschluß. Zur Gruppe der Demokraten gehören Sie nicht, Herr H.. Man darf sich nicht gemein machen mit jenen, die die Demokratie nicht schützen, sondern bekämpfen, die mit ihr spielen, ihre Regeln nicht anerkennen, sie verächtlich machen. Politische Ikonographie. Sinnbilder, die über den Tag hinausreichen, die die abstrakt-dürre Routine politischen Handelns anreichern mit Sinnlichkeit und Fleisch, mit Leidenschaft, Wut, mit Farbe, Gefühl, Position, Einmaligkeit. Und dann die Bilder, die verstören, ratlos machen, hilflos. Vor vier Wochen noch unumstößliche Breitbeinigkeit in Cowboy-Stiefeln, robust, keinesfalls übermannt, selbstgerecht bis zum Bersten: Thomas Kemmerich, bis gestern geschäftsführender Ministerpräsident in Thüringen. Und gestern? Ratlose Uneindeutigkeit. Gewählt, aber ohne jede Funktion, ohne Auftrag, ohne Haltung, ohne Ort, ohne Position. Keine Schuld am Fiasko vor vier Wochen, kein Einsehen, keine Erklärung. Ein Abgeordneter, der sich allem entzieht, wozu ihn die Bürger ins Parlament gewählt haben. Ein Mann ohne Schlupfloch. Kein Wort. Keine Abstimmung. Keine Politik. Kein Zeichen. Ein Bild des Jammers. Das Gegenteil eines Homo Politicus. Wie eigentlich kann und will man Menschen zur Teilhabe am Gesellschaftlichen bewegen, wenn jene, die sie gewählt haben, selbst jede Teilhabe verwehren? Wenn sich sich als Totalverweigerer ins Bild setzen, als arme Randfiguren, nicht einmal mehr als Spielball. Mitunter stellen sich politische Ereignisse ungewollt als schlaue Inszenierungen ein.