Die letzte Klappe fürs Kirchenkino

Ein Einwurf von Wolfgang Horn

Kirchenkino. Wer denkt bei einem solchen Wort nicht an betulich-religiöse Filme, an Dutts und graue Haare, an Erbauungskino von vorgestern, an überholte religiöse Erweckungsbemühungen in säkularen Zeiten? Weit gefehlt. Kirchenkino im Wermelskirchener Film-Eck, das ist seit nunmehr 16 Jahren mit das Modernste und Gewagteste, das Radikalste und Weltlichste, das Entschiedenste und Anstößigste,  was Wermelskirchener Kultur oder Politik, was Verbände, Gemeinden, Institutionen zu bieten haben. Hatten. Leider. 

Nach nunmehr 112 Filmen ganz unterschiedlicher Art wird heute Abend zum (vorerst) letzten Mal das Kirchenkino im Film-Eck gastieren. Cornelia und Ulrich Seng, mit Christel und Klaus Schiffler Urheber und verantwortlich fürs Kirchenkino, werden ihren wohlverdienten Ruhestand nicht in Wermelskirchen verleben. Auf der Strecke bleibt ein kulturelles und politisches Kleinod in dieser Stadt, eine allmonatliche Ermahnung, sich nicht zu fügen in die Verhältnisse, widerständig zu bleiben, den kritischen Geist zu schärfen, nicht zufrieden zu sein, mit dem was ist, neugierig zu bleiben, zu hinterfragen, was fraglos zu sein scheint. Monat für Monat war 16 Jahre lang das Kirchenkino der Ort, an dem die heile Welt in Frage gestellt werden konnte, wo man sich der Geschichte vergewisserte, wo Religiöses mit Weltlichem sich zusammenfand, wo Rassismus, Unterdrückung, Menschenfeindlichkeit attackiert und Utopien angeboten, wo die Zivilgesellschaft auch gegen den vermeintlichen Mainstream gestützt und gestärkt wurden.

Die Rettungstransporte tausender jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland waren der Anfang, dem später Filme über das Naziattentat in der Kölner Keupstraße folgten oder über den Irrsinn und die Unmenschlichkeit der Abschiebung von Flüchtlingen, über die Spurensuche in einer jüdischen Familie, über Textilproduktion und Modeirrsinn, über Flüchtlingsrettung im Mittelmeer, den Jakobsweg, die Stolpersteine von Gunter Demnig, über Luther oder Chöre in Afrika, über Ernährung oder den Klimawandel, über die Erziehung von Kindern. Kaum ein relevantes gesellschaftliches Thema, zu dem die Sengs nicht auch einen passenden wie auch spannenden Film gefunden hätten.

Aber Kirchenkino war und ist nicht nur politisch, gesellschaftlich oder religiös konturierte Unterhaltung. Kirchenkino war und ist auch ein Ort des Gesprächs, des öffentlichen Austauschs. Einer klugen Einleitung und gesellschaftlichen Einordnung vor dem jeweiligen Film folgte in aller Regel eine öffentliche Debatte nach dem Film über das gerade Gesehene, angeregt durch behutsame Fragen und Thesen von Ulrich Seng, mit denen zumeist ein ertragsreiches, mitunter kontroverses, aber in jedem Fall vertiefendes Gespräch des Publikums ermöglicht wurde. Was das Fernsehen schon seit Jahren nicht mehr leistet, was Parteien kaum mehr gelingt, das hat das Kirchenkino vermocht: Ein Gespräch zu stiften, eine öffentliche Diskussion zu installieren, das Gesehene gemeinschaftlich zu verarbeiten, kritisch zu hinterfragen, was Medien bieten.

Das alles wird nach dem heutigen Abend Geschichte in Wermelskirchen sein. Weil sich niemand im Kirchenkreis findet, der diese Tradition fortzusetzen bereit ist. Hier wird ohne Not verschwendet, was doch so wichtig sein kann in kontroversen Zeiten: kritische Inhalte zu rezipieren und übers Gespräch zueinander zu finden, außerhalb der Kirchen, jenseits der Gemeinden. Nun mag man einwenden, daß eine andere Art kritischer Film im hiesigen Kulturtempel Film-Eck die Nachfolge antreten könnte. Das mag sein. Es wäre indes nur ein fader Aufguß. Ohne die Kirche gibt es auch kein Kirchenkino. Es geht nicht um cineastische oder politisch-kritische Bemühungen. Es geht um das Verbindende, das eine stark gespaltene Gesellschaft so dringend braucht. Die Herstellung von Gemeinsamkeit braucht eine Autorität. Ich fürchte, die Kirchengemeinden in Wermelskirchen haben die Chance, die das Kirchenkino bot und bietet, nicht wirklich erkannt. Schade.  

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