Ein romantischer Wohlfühlort in Wuppertal

Die Kunstgeschichtlerin Dr. Doris Lehmann über den Märchenbrunnen im Zooviertel

VON UWE BLASS

Im Zooviertel in Wuppertal steht ein ganz besonderer Brunnen: Der Märchenbrunnen. Er wurde von den Zooviertel-Architekten Rudolf Hermanns und Kuno Riemann entworfen, die Märchenfiguren allerdings stammen von Wilhelm Albermann, der ein paar Jahre später einen weiteren Märchenbrunnen in Köln-Mühlheim entwarf. Wer war dieser Bildhauer, und welche Monumente kennt man noch von ihm?

Lehmann: Wilhelm Albermann (1835–1913) lebte lange als freischaffender Bildhauer in Köln, stammte aber gebürtig aus Werden an der Ruhr und hatte in Elberfeld seine Ausbildung als Holzbildhauer absolviert, bevor er die Berliner Kunstakademie besuchte. Seine Frau Maria, geborene Kesseler, mit der er viele Kinder hatte, stammte aus Elberfeld und war Tochter eines Fabrikanten. Albermann gründete eine produktive eigene Werkstatt und eine gewerbliche Zeichenschule, engagierte sich im Verein zur Förderung der Bildhauerkunst in Rheinland und Westfalen und übernahm darüber hinaus nicht nur Aufträge, sondern auch weitere Ehrenämter. 

Schließlich erhielt er den Titel Professor. Zu seinen vermutlich bekanntesten Arbeiten zählen der Jan von Werth-Brunnen (1884) auf dem Kölner Altermarkt und der Barbarossa in Sinzig (1875). Weitere Werke von ihm sind die Sitzstatuen der Museumsstifter Wallraf und Richartz (1900) in Köln. Für die Fassade der alten Kunsthalle in Düsseldorf entstanden die vier monumentalen Karyatiden (1879–81) als Personifikationen von Musik, Malerei, Bildhauerei und Baukunst. Heute stehen diese unweit des Ofenrohrs der Installation „Loch“ von Josef Beuys und dem Kom(m)ödchen. Verloren und darum fast vergessen oder heute weniger populär sind hingegen Albermanns Denkmäler für Kriegsgefallene, Kaiser Wilhelm I., Bismarck und Moltke. Im zweiten Weltkrieg zerstört wurde das Elberfelder Kriegerdenkmal für die Gefallenen der Kriege von 1864, 1866 und 1870/71, dieses war 1881 auf dem Königsplatz, dem heutigen Laurentiusplatz, eingeweiht worden. Auch für St. Laurentius geschaffene Werke und für das Barmer Rathaus 1877 geschaffene Giebelfiguren sind verschollen oder nicht erhalten.

Welche Märchenfiguren finden sich am Wuppertaler Brunnen?

Lehmann: Der Wuppertaler Märchenbrunnen zeigt vier oben rundbogig abschließende reliefierte Figurennischen mit Szenen aus Aschenputtel, Dornröschen, Schneewittchen und Rotkäppchen. Aschenputtel sitzt am offenen Fenster umgeben von Tauben, die ihr zu Hilfe kommen. Schneewittchen ruht im todesähnlichen Schlaf umringt von den sieben Zwergen. Dornröschen nähert sich der Prinz und Rotkäppchen befindet sich in Begleitung der sie ermahnenden Mutter und dem hinter ihr heranschleichenden Wolf. Darüber hinaus schmücken vier Einzelfiguren den Brunnen, die als plastische Zwickelfiguren in der Zone über den Szenen sitzen: Reineke Fuchs, der gestiefelte Kater, der Igel Swinegel, welcher im Wettlauf den Hasen überlistet, und König Nussknacker.

Bei der Einweihungsfeier 1897 sagte Regierungsbaumeister Hermanns in seiner Rede: „Der Brunnen zeigt die feinfühlige, edle, keusche Auffassung, welche vereint mit vollendeter Formgestaltung und reizvoller Gruppierung alle Albermann’schen Schöpfungen auszeichnet.“ Was meinte er damit?

Lehmann: Albermanns Werk würden wir heute dem romantischen Historismus zurechnen. Das Lob gilt der Sensibilität des Bildhauers für eine ansprechende Gestaltung, die generationenübergreifend Emotionen weckt und mit bildlichen Mitteln einen erzählerischen Zugang zu den beliebten Sujets bietet.

Die Position des Kunstwerks spielte auch eine Rolle. Warum war das wichtig?

Lehmann: Das Zooviertel war damals städtebaulich in seiner Gestaltungs- und Entwicklungsphase, die Umgebung unmittelbar um den Brunnen herum war noch nicht bebaut und eher ländlich geprägt. Der Brunnen wurde ursprünglich auf einem Rondell errichtet, das platzgestalterisch im Zentrum von Baldurstraße, Donarstraße, Jaegerstraße und Wotanstraße entstand und durch den Straßenverlauf fünf Blickachsen auf sich vereinigte. Die Anpflanzung von Baumalleen sollte diese optisch rahmen. 

Zu den verwendeten Materialien gehörte neben gelbem Sandstein und Zinnguss auch Schlacke, aus denen die Becken geformt wurden. Das war ein ungewöhnliches Material, oder?

Lehmann: Aus heutiger Sicht durchaus, aber im 19. Jahrhundert wurden verschiedene Versuche unternommen, um Schlacke sinnvoll zu nutzen. Hierzu wird aktuell im Sinne der Nachhaltigkeit übrigens weiter geforscht. Als der Brunnen Ende des 19. Jahrhunderts entstand, wurde Schlacke zu Schlackensteinen verarbeitet, tatsächlich gab es sogar industriell hergestellte wegen ihrer Festigkeit und Wärmedämmung geschätzte Pflastersteine. Verwendung fand Schlacke als Material damit im Straßenbau, im Wasserbau, im Tiefbau und sogar beim Hausbau und war damit sicher weiter verbreitet, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Im Fall des Märchenbrunnens dürften für die Wahl des Materials Schlacke allerdings die dekorativen Eigenschaften ausschlaggebend gewesen sein, die damals für die Herstellung künstlicher Grotten Verwendung attraktiv waren. Hierzu passt, dass die vier Auffangbecken am Fuße des Brunnens, in denen sich das Wasser sammelte, aus Schlacke gestaltet wurden. Der Umstand, dass die Becken 1939 entfernt wurden, und der Brunnen damit zu einem Denkmal umfunktioniert wurde, wurde übrigens damit erklärt, dass die Zahl der Autofahrer gestiegen war und es für diese zu lebensgefährlich sein könnte, den Brunnen zu umkurven ohne dabei das Tempo zu verlangsamen. Und das ist kein Märchen.

Der Brunnen hat die Kriege ganz gut überstanden, wobei jedoch einige Figuren schon vor 1932 abhandengekommen sind. Später drohte er dann doch zu verwahrlosen, und es war lange fraglich, ob er gerettet werden könnte? Wie kam es schließlich dazu?

Lehmann: Dass der Brunnen gerettet wurde, ist das Ergebnis von in Wuppertal gebündeltem Engagement und großer Hartnäckigkeit. Ausgehend vom Bürgerverein Sonnborn-Zoo-Varresbeck und der Grundschule Donarstraße bildete sich ein Arbeitskreis, dessen erfolgreiche Initiative die Restaurierung des Brunnens ermöglichte. Herzblut und viel Zeit wurden in das Projekt gesteckt, um endlich das nötige Geld zusammenzubekommen: Es konnten Fördermittel eingeworben werden, aber die reichten nicht. Mit dem Märchenbrunnenfest 2006 wurde eine eindrucksvolle Spendensammlung in Gang gesetzt. Wir können allen dankbar sein, die sich daran beteiligt haben. 

Die verlorenen Brunnenfiguren wurden nach alten Fotos wieder originalgetreu rekonstruiert. Wie gelang das?

Lehmann: Für diese Rekonstruktionen waren tatsächlich die vom Bürgerverein gesammelten Fotos die wichtigste Grundlage, denn für die Nachformung der Figuren wurden historische Ansichten in bestmöglicher Qualität benötigt. Die Anwohner durchstöberten ihre Bestände ebenso wie Ebay und die Dissertationen zum Zooviertel und zu Wilhelm Albermann. Schließlich gelang einer auf digitale Bildhauerei spezialisierten Firma der Modellierungsprozess: In Detailarbeit am Computer entstanden passend zum Brunnen digitale 3D-Modelle, die in Absprache zwischen Künstlern und Bürgerverein verfeinert wurden. Ihre plastische Gestalt erhielten die Figuren dann mit 3D-Druckern. Nach der erfolgreichen „Sitzprobe“ vor Ort, also auf dem Brunnen, konnten die Modelle in einer Kunstgießerei abgeformt und als Aluminiumgusse in die heute sichtbare Form übertragen werden. 

Der Märchenbrunnen wurde bewusst in die Inszenierung der Villenkolonie im Zooviertel als romantischer Sehnsuchtsort eingebettet. Hat sich dieser Eindruck bis heute erhalten?

Lehmann: Ich denke schon, dass sich trotz der äußerlichen Veränderungen der Kern dieses Wunsches erhalten hat und seine Wirkung im Viertel zeigt. Die anhaltende Identifikation der Anwohner mit ihrem Brunnen ist generationenübergreifend. Angesichts der traurigen Nachrichten, die uns mit den Nachrichten aus aller Welt erreichen, haben Rückzugsorte Konjunktur und mit der Sehnsucht nach einem guten Ende bietet der Märchenbrunnen einen Wohlfühlort.

Dr. Doris H. Lehmann ist gelernte Fotografin und studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Provinzialrömische Archäologie und Lateinische Philologie an der Universität zu Köln und wurde 2005 ebenda promoviert. 2018 habilitierte sie sich an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit einer Arbeit zu den Streitstrategien bildender Künstler in der Neuzeit und ist seitdem Privatdozentin. Seit Oktober 2018 lehrt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Kunstgeschichte an der Bergischen Universität.


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