Ein Wort zum Montag, dem 1. Mai 2023
VON CORNELIA SENG
“Wahrscheinlich haben wir ihr unrecht getan”, sagt ein Bekannter am Telefon. Wir sprechen über Dorothee Sölle. Die streitbare Theologin ist Ende April vor zwanzig Jahren gestorben. Ende der sechziger Jahre hatte sie das “Politische Nachtgebet” in Köln mitbegründet. Damals hatte sie uns mit ihrer radikal politischen Theologie verstört. Wir hatten damals einen ganz anderen Zugang zum Glauben als sie. War es nur die Sprache, waren es nur die Worte, die uns störten? Hat sie mit der pointierten Sprache auf Wichtiges hingewiesen?
Später fand ich Sätze von ihr großartig. “Dem Jesus seinen Gott glauben”, ist so ein Satz. Das gefällt mir. Über Jesus finden wir Zugang zu Gott. Und dass Liebe und Gerechtigkeit untrennbar zusammengehören, darauf hat sie wie niemand sonst in der Kirche bestanden. Ihr Buch “Mystik und Widerstand” steht in meinem Bücherschrank. Was sie wohl heute sagen würde? Wie würde sie eintreten für die Flüchtlinge im Mittelmeer und gegen die Abschottungspolitik Europas? Wie würde sie für Frieden in der Ukraine werben? Das und viel mehr würde ich sie heute gerne fragen.
In der neuen “Alle Kinder Bibel” trägt Zachäus, der Zöllner, einen “Lächelmantel”. Diesen Mantel trug er, als er Jesus begegnete. Damals, als er auf den Baum stieg, um ihn zu sehen. Und Jesus hatte ihm zugelächelt. Er hat ihn verstanden. Deshalb nennt Zachäus den Mantel jetzt seinen “Lächelmantel”. Unter dem freundlichen Lächeln Jesu hat Zachäus das Leben entdeckt. Das wirkliche Leben. Darum liebt er den Mantel so und will ihn gar nicht mehr ausziehen. Immer noch spürt er darin das Lächeln und die Zuneigung Jesu.
Ich vermute, das hätte Dorothee Sölle gefallen, das Bild vom “Lächelmantel”. Der Blick Jesu lässt Zachäus Gottes Liebe spüren. Und sofort weiß er, was Gerechtigkeit bedeutet: Der reiche Zöllner Zachäus zahlt zurück, was er unrechtmäßig erworben hat. Und will fortan seinen Job gewissenhaft ausführen. Liebe und Gerechtigkeit gehören eben zusammen.