Wie lange dauert ein Kuss?

Ein Wort zum Montag, dem 30. Mai 2022 

VON CORNELIA SENG

„Ein Kuss dauert eine Ewigkeit“ – diesen Satz von Prof. Eberhard Jüngel damals in Tübingen habe ich noch gut in Erinnerung. Kein Wunder, ich war eine junge Studentin und gerade Anfang zwanzig. Was wollte er damit sagen? Unendlich lange küssen kann man ja nicht.

Gerade haben wir Himmelfahrt gefeiert. Jesus Christus hat sich von den Jüngern verabschiedet und wird in die Ewigkeit Gottes aufgenommen. So glauben Christen das. Dass er dabei nicht einfach in der unendlichen Weite des Weltalls verschwunden ist, braucht man heute selbst Schüler:innen nicht mehr zu erklären. Ewigkeit muss noch etwas anderes bedeuten als grenzenlose Weite und zeitliche Unendlichkeit.

„Ewig“ ist nur Gott allein. Juden sprechen von Gott als „dem Ewigen“, weil sie aus Ehrfurcht den Gottesnamen nicht aussprechen. „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ So schließt das Vaterunser. Ewigkeit, das ist Gottes Sein, seine Welt. Vorstellen können wir Menschen uns das nicht. Denken lässt sich Ewigkeit nicht. Und doch: „Ewigkeit kommt zu jedem Zeitpunkt vor“ – sagt Elazar Benyoëtz, der hebräische Dichter. Ja, Ewigkeit kommt zu jedem Zeitpunkt vor. Man kann sie erahnen, spüren, glauben. Aber sie lässt sich nicht beschreiben. Philosophen sind daran gescheitert, Ewigkeit zu definieren, und sie haben es aufgegeben. Schließlich sagen sie, das sei eben „Meta-Physik“.

Und doch bleibt uns allen eine Sehnsucht nach Ewigkeit. Sie sei „in des Menschen Herz gelegt“, sagt der Prediger im Alten Testament (3,11). Ewigkeit ist mehr als Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit. Ins Herz gelegt ist uns die Sehnsucht nach Gottes Welt, nach seinem Reich.

Ewigkeit, das ist der Machtbereich Jesu Christi, so haben wir es am Himmelfahrtstag im Gottesdienst in der Christuskirche in Karlsruhe gesungen:

„Nimm uns in deinen Machtbereich, gib Kraft zu Tat und Leiden, und mach uns deinem Wesen gleich im Wollen und Entscheiden.“

Jesus ist am Himmelfahrtstag ganz in Gottes Ewigkeit „aufgefahren“, so sagt die Bibel. In den Himmel. Mit beiden Beinen. Er hat bewirkt, dass wir auch hier schon mit einem Bein im Himmel stehen. Mit e i n e m Bein in Gottes Welt. So wie man beim Küssen manchmal im siebten Himmel ist. Vermutlich wollte das der Professor uns jungen Student:innen sagen.

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