Politisch-musikalischer Irrsinn im Oberbergischen

Bergische Kulturbanausen canceln Weltmusik

VON WOLFGANG HORN

Das Junge Orchester NRW (djo) bietet seit 1985 begabten Schülern, Studenten und jungen Berufstätigen die Möglichkeit zum Zusammenspiel in einer hochqualifizierten Orchesterbesetzung und wird von seinem Gründer, dem Universitätsmusikdirektor Ingo Ernst Reihl, dirigiert. Das nächste Konzert findet am Freitag, dem 24. Juni 2022 statt. Mit Werken von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893), der Symphonie Nr. 2 in C-Moll und der Symphonie Nr. 3 in D-Dur.

Für dieses Konzert proben die jungen Musiker, wie seit vielen Jahren schon, auch im Oberbergischen, in Lindlar. Hier sind sie Stammgast. Sie übernachten in der Jugendherberge, proben im Kulturzentrum und bedanken sich am Ende für die Gastfreundschaft mit einer öffentlichen Generalprobe. So war es auch dieses Jahr geplant. Eigentlich. „Wir haben uns als Gemeindeverwaltung gegen eine öffentliche Generalprobe von Tschaikowski-Musik ausgesprochen, weil sich der russische Krieg gegen die Ukraine, gegen das Leben der Menschen dort und gegen ihre Kultur richtet.“ So zitiert die Kölnische Rundschau den Lindlarer Bürgermeister Georg Ludwig. Man wolle kein Forum mit einem Schwerpunkt auf russischer Kultur bieten. Der Bürgermeister folge, so sagt er, ohne indes Einzelheiten zu nennen, einer kritischen Position aus dem Kulturbeirat zum Veranstaltungsplakat.

Orchesterleiter Reihl hält dagegen, daß die Musik „zutiefst humanistisch und nicht kriegstreibend“ sei und die 2. Sinfonie den Untertitel „Die Kleinrussische“ trage, eine Bezeichnung für ein Gebiet, das heute größtenteils die heutige Ukraine umfasst. Und neben Tschaikowski solle auch das „Gebet für die Ukraine“ von Walentin Silvestrow erklingen, einem kürzlich aus Kiew geflüchteten Komponisten.

Auf Unverständnis, so heißt es in dem Artikel der Kölnischen Rundschau weiter, stößt die Entscheidung bei Professor Falko Steinbach, dem Gründer und Leiter des Lindlarer Klavierfestivals: „Ich persönlich kann die Engstirnigkeit des Denkens, die sich hinter derartig gecancelter Kultur verbirgt, nicht nachvollziehen. Undenkbar, dass Tschaikowski als Homosexueller Putins Angriffskrieg befürwortet hätte. Wir bestrafen die Falschen, denn was Putin betreibt, ist eine Spielform des Stalinismus, und wir sollten uns daran kein Beispiel nehmen.“

Irre. Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, die wesentlich den Soldaten vor allem der Sowjetunion zu schulden ist, dekretiert ein bergischer Provinzbürgermeister, Musik eines der größten russischen Komponisten mit Bedeutung in der ganzen Welt dürfe im Oberbergischen nicht öffentlich geprobt werden. Dieser Mann und seine städtischen Kulturbanausen sind allenfalls ein öffentliches Ärgernis, wenn nicht eher eine armselige Lachnummer, eine provinzielle Posse. Rußland ist im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieses erbärmliche Aggression gegen ein Nachbarvolk liegt allein in der Verantwortung von Putin und seinen Vassallen im Kreml. Nicht aber am großen Pjotr Iljitsch Tschaikowski oder den begabten Musikern des Jungen Orchesters Nordrhein-Westfalen.

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