Die Pawlowschen Hunde in Wermelskirchen

VON WOLFGANG HORN

Der Pawlowsche Hund war ein Zwingerhund, dessen Verhalten der mit einem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnete russische Forscher Iwan Petrowitsch Pawlow untersucht hatte. Pawlow fand heraus, dass bei Zwingerhunden schon die Schritte des Besitzers Speichelfluss auslösten, obwohl noch gar kein Futter in Sicht war. Das Geräusch der Schritte, zuvor ein normaler Stimulus, dem regelmäßig die Fütterung folgte, wurde für die Hunde so mit Fressen verbunden. Dieses Phänomen bezeichnete Pawlow als Konditionierung.

Wie der Zwingerhund des Nobelpreisträgers reagiert die AfD in Wermelskirchen auf das Triggerwort Afghanistan. Ansonsten schläfrig und kaum zu vernehmen, erwachen die völkischen Nationalisten aus ihrer Starre und reagieren reflexhaft, sobald es um Afghanistan und Flüchtlinge aus diesem geschundenen Land geht. In einer Anfrage an die Bürgermeisterin stellen Karl Springer und Joachim Hans Lietzmann neun Fragen, eine weniger appetitlich als die andere. Tenor: Sie wollen keine Menschen aus Afghanistan in Wermelskirchen haben.

Ob nicht finanziell besser gestellte Kommunen Menschen aus Afghanistan aufnehmen könnten als das „finanziell dahinsiechende“ Wermelskirchen, heißt es in Frage 7 beispielsweise. Schließlich leiste die Stadt „ihren im gesellschaftlichen Konsens akzeptierten Anteil an der Migrationskrise seit Jahren“. Ja, die Stadt leistet, die Menschen in dieser Stadt leisten, die Bürgerinnen und Bürger helfen, die Zivilgesellschaft, die Kirchengemeinden, die meisten Parteien und die Flüchtlingsinitiative funktionieren in unserer Kleinstadt, mit dem Ergebnis, daß es in Wermelskirchen keine „Migrationskrise“ gibt. Die AfD hätte wohl gerne eine. Und sie ist die einzige Partei, die bislang noch keinen Finger für die Menschen in Not gekrümmt hat.

Ob es schon eine Zusage gebe für die Kostenübernahme, wollen die Rechtspopulisten in ihrer zweiten Frage wissen. Da kämpfen die Menschen im Kabuler Flughafen noch um ihr Leben, um einen Platz in irgendeinem Transportflugzeug, da legen schreckensstarre Mütter ihre Babies wildfremden Soldaten in den Arm, damit sie bloß raus aus diesem Land kommen, und die Buchhalter des Schreckens in Wermelskirchen kümmern sich um Kostenersatz für Kosten, die noch nicht entstanden sind und von denen noch niemand sagen kann, wie hoch sie denn sein werden. Zusätzliche Mittel sollten doch eher für die steuerzahlenden Bürger dieser Stadt verwendet werden. Offenbar ist diesen Braun-Blauen jede menschliche Regung abhanden gekommen, jede christliche Achtung vor dem Leben.

Noch sind keine Menschen aus Afghanistan hier gelandet, noch sind sie keinem Verteilmechanismus unterzogen, aber schon will die AfD von der Bürgermeisterin erfahren, wieviele Personen nach Wermelskirchen kommen werden und mit welchen Kosten für Unterbringung, Betreuung, benötigtes Personal die Stadt rechne. Sie will es in Wahrheit nicht genau wissen, jetzt jedenfalls nicht, weil es noch gar keine Rahmendaten gibt, um eine derartige Frage beantworten zu können. Das weiß auch der AfD-Pianoman. Das aber hindert ihn und den Sprecher des Ortsverbandes nicht, zur Unzeit eine derartige Frage aufzuwerfen. Sie wollen mit dieser Frage Stimmung machen gegen Menschen aus Afghanistan. Das Boot sei voll, die Kosten zu hoch, sie sollen anderswohin. Kennt man ja seit Jahren. Erst von der NPD, dann von Republikanern und jetzt eben von den völkischen AfDlern. Die Anfrage ist nur eine dürftige Verkleidung für ein Pamphlet des Ressentiments.

Ob es sich um „Asylbewerber, Staatsgäste oder Einwanderer“ handele und wie es mit dem Familiennachzug sei, heißt es in Frage 6. Schon die Formulierung zeigt, wie wenig Respekt die hiesige AfD für die Usancen des demokratischen Rechtsstaates hat und wie sehr es ihr nur um die Schürung von Vorurteilen geht. Den juristischen Status der Menschen, die unseren Soldaten in Kabul und anderswo geholfen haben und jetzt um ihr Leben fürchten müssen, mit dieser gehässigen Frage in Erfahrung bringen zu wollen, stellt unter Beweis, dass es der AfD um Krawall geht. Sie stänkert unter dem Vorwand einer Anfrage. Das wird bei allen Fragen überdeutlich.

Mali ist das nächste Stichwort. Die Menschen aus Afghanistan sind noch nicht in Deutschland gelandet, da fragt Meister Springer die Bürgermeisterin, wie sie denn „mit Hinblick auf eine sich abzeichnende, ähnliche Situation in Mali mit den zu erwartenden Aufenthaltsbewerbern verfahren“ werde. Ist das nicht unsäglich? Die Bürgermeisterin kann diese boshafte Frage natürlich nicht beantworten. Da seien auch eine Kanzlerin, eine Bundesregierung, ein Außenministerium und auch eine ganze Landesregierung vor. Die AfD will den hier lebenden Menschen Angst einjagen. Nach Afghanistan komme Mali. Und dann ein anderes Land. Und die Menschen in Not, die um ihr Leben kämpfen, die unter Folter leiden und Verfolgung, vor Gefängnissen und Lagern fliehen, diese Menschen als „Aufenthaltsbewerber“ zu bezeichnen, ist schlichtweg eine menschenfeidliche Wortwahl.

Nein. Dieser AfD geht es nicht um die Beantwortung von Fragen. Sie will Stimmung schüren, Ressentiments verstärken, das Land spalten. Ihr Verhältnis zur Krise in Afghanistan ist rein taktisch. Ihre unwürdige Anfrage ebenfalls. Springer und Lietzmann haben den Konsens der Anständigen schon lange verlassen.

Kommentare (16) Schreibe einen Kommentar

    • Stefan Wiersbin
    • 24.08.21, 11:45 Uhr

    Dem ist nichts hinzuzufügen, Wolfgang.

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  1. Polemiken helfen nicht weiter, aber vielleicht ein Blick auf einige Tatsachen: Der Westen hat Milliarden in einen sinnlosen Krieg gesteckt, der auch jetzt im Nachhinein viele Opfer fordert.

    Was haben derweil die Chinesen gemacht?

    ‘Das erste Mega-Bergbau-Projekt wurde bereits 2008 mit der VR China vereinbart. Auf Basis des 2006 verabschiedeten Bergbaugesetzes (Minerals Law of Afghanistan) ging die Erschließung eines schon lange bekannten Kupfervorkommens, der Aynak-Lagerstätten 35 km südöstlich von Kabul, an ein chinesisches Staatskonsortium unter Leitung der China Metallurgical Group Corp. (MCC). ‘
    Quelle: MGI-Metals: http://metals.mbi-infosource.de/china-investiert-in-afghanistans-bergbausektor/

    Was wir lernen könnten:
    Die Zeit des “Weißen Mannes” in der Welt ist vorbei und auch seine “Bürde”. Wir sind nicht dafür verantwortlich, welche Regierungsform andere Länder sich wählen. Was wir tun können: Friedlichen Handel treiben und, da wo es gewünscht wird, in Industrieprojekten zusammenarbeiten. Die Chinesen machen es uns vor.

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    • christian
    • 24.08.21, 13:09 Uhr

    Mir wären hundert Flüchtlinge deutlich lieber als diese 2 Gestalten….

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    • Karl Springer
    • 24.08.21, 13:14 Uhr

    Herzliche Grüße vom „AfD-Pianoman“ – ich bin übrigens umgestiegen auf Gitarre, trägt sich leichter…….trefflich geschrieben, sachlich, ausgewogen und mit dem nötigen Respekt den wir in einer zivilisierten Debatte erwarten dürfen.

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    • stefan+janosi
    • 24.08.21, 13:36 Uhr

    Lieber Wolfgang,
    Vergleiche aus dem Tierreich sind in dem Fall unpassend. Grade Hunde, und auch die meisten anderen Gattungen, würden nicht mit so technokratischer Hinterlist über ihre eigenen Spezies richten wie es die Menschen tun. Das einzige vielleicht passende Analogon wäre das Verhalten der Ratten, denn diese sind in der Lage zu dissozialem Verhalten.
    Welches Ziel die AfD mit ihrem Antrag verfolgt ist mittlerweile den meisten Bürgern bekannt. Unseren Staat und unser Gemeinwesen frei von Menschen aus fremden Kulturen zu halten und so ihr Ideal eines völkisch-nationalen Staats nahezukommen. Fremdenfeindlichkeit ist eines der Leitmotive der AfD. Menschlichkeit, Gleichheit, Respekt vor anderen Kulturen sind ihnen fremd.
    Am besten verdeutlichen das zwei Stimmen von leitenden Protagonisten der AfD:
    “Der Syrer, der zu uns kommt, der hat noch sein Syrien. Der Afghane, der zu uns kommt, der hat noch sein Afghanistan. Und der Senegalese, der zu uns kommt, der hat noch seinen Senegal. Wenn wir unser Deutschland verloren haben, haben wir keine Heimat mehr!“ (Björn Höcke)
    Die deutsche Volksgemeinschaft leide „unter einem Befall von Schmarotzern und Parasiten“, welche dem deutschen Volk „das Fleisch von den Knochen fressen“ (Peter Boehringer, MdB der AfD)
    Gibt es mehr zu sagen zu dieser Art der neuen Unmenschlichkeit? Ich denke nicht, sie spricht für sich.

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    • Grauganz
    • 24.08.21, 13:45 Uhr

    Lieber Stefan,
    der Pawlowsche Hund ist kein Vergleich. Ich habe niemanden mit diesem Hund verglichen. Er illustriert lediglich die Konditionierung. Beim Auftreten des Wortes Afghanistan fangen AfD-Politiker reflexhaft an, Anfragen zu schreiben, mit Hilfe derer schlechte Stimmungen geschürt werden sollen. Nicht mehr und auf keinen Fall ein Vergleich.

    Gruß

    Wolfgang Horn

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      • Stefan janosi
      • 24.08.21, 13:53 Uhr

      Daher habe ich ein passenderes Analogon aus dem Tierreich bemüht.😊

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        • Karl Springer
        • 24.08.21, 14:31 Uhr

        Bei allem Respekt die Herren, wie würden Sie, sachlich und ohne Herrn Grzimek mit einzubeziehen, die Schlussfrage/Statement dieser Anfrage kommentieren:
        Auch die bedauerlichen und drängenden Geschehnisse in Afghanistan entbinden uns nicht von der Pflicht, die langfristig besten und kostengünstigsten Lösungen für alle Betroffenen, insbesondere die Hilfsbedürftigen, zu finden und zu ergreifen. Dazu ist aber die hinreichende Abstimmung mit den beauftragten Entscheidungsträgern, so u.a. dem Rat der Stadt, notwendig. Stimmen Sie dem zu?

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          • Klaus E. Ulinski
          • 24.08.21, 20:31 Uhr

          Nun Herr Springer, Sie entlarven sich immer mehr. Hannah Arendt erkannte aus ähnlichen Aussagen wie die von Ihren, was sie später als „Banalität des Bösen“ bezeichnete. Es wird bei Ihnen deutlich und hörbar: Sie erscheinen hier mehr als einer, der zur Erfüllung der vor uns stehenden Aufgaben als erstes an Pflichterfüllung und Kosteneinsparung denkt – ohne Empathie und ethisch gegründete Motivation. Genau das ist es: Banal und böse.

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    • Angela Siebel
    • 24.08.21, 19:49 Uhr

    Solange die Priviligierten die Angst nicht loswerden, sie könnten zu kurz kommen und solange nicht begriffen wird, dass unser Stück vom Kuchen nur deshalb so groß ist, weil wir anderen ihres weggenommen haben, (wie ein offener Blick in die Geschichte zeigt,) werden wir uns wohl mit kleingeistigen Fragen konfrontiert sehen, so traurig das ist.

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    • Marcus Richter
    • 24.08.21, 19:52 Uhr

    Herr Springer, die braune Sauce, die Sie verbreiten, ist unerträglich, unmenschlich und widerlich. Es geht um Leben und Tod. Wer nur einen Funken Menschlichkeit in sich trägt, wird sich in so einer Situation doch nicht um “kostengünstige” Lösungen Gedanken machen, sondern darum, wie man möglichst viele Menschen rettet und ihnen helfen kann.

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    • Wolf
    • 24.08.21, 21:10 Uhr

    “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”
    Eigentlich ist doch alles ganz einfach. Da gibt es nichts zu diskutieren oder zu deuten.
    Na ja, außer bei der AfD…

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    • Matthias Pahl
    • 25.08.21, 13:03 Uhr

    Die Herren Springer und Lietzmann sind meines Wissens gute Christenmenschen und fest im Gemeindeleben Ihrer jeweiligen Religionsrichtung in Wermelskirchen verankert. Nun kann man trefflich über folgende Punkte streiten:
    1. Gehört es zum Weltbild eines zeitgenössischen Christen in Not geratenen Menschen zu helfen, denen unsere Regierung/unser Militär/unsere Diplomaten das vorher versprochen hatte(Aber eben nicht die Verwaltung der Stadt Wermelskirchen)? Ggf. hilft hier das Lesen eines Buches namens Bibel weiter. Ein Koran tuts wahrscheinlich auch.:-)
    2. Soll die Stadt Wermelskirchen im Rahmen des IHEK 1 Millionen Euro Eigenanteil dafür ausgeben, dass sich unsere Generationen in der Hüppanlage treffen können oder das Geld für Menschen ausgeben, die auf diese Weise vielleicht dem Tod entrinnen?
    Schwierig schwierig…..

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      • stefan wiersbin
      • 25.08.21, 20:28 Uhr

      Lieber Matthias,

      zum einen glaube ich, dass man Sonntags nicht in die Kirche sitzen kann und seinen christlichen Glauben offen zeigen kann und gleichzeitig, wie die Herrn Springer und Lietzmann, sich gegen die Aufnahme von Flüchtlinge stimmen. Man kann nicht die Bergpredigt hören und lesen, aber gegen seine Mitmenschen ob Flüchtling, Roma, Odachloser oder andere Minderheiten agieren. – Und, ja, die Stadt sollte Anstelle eines Generationenparks in den Hüppanlagen, dass vorgesehene Geld an dieser Stelle einsparen, wenn dadurch das Leben von Menschen gerettet werden kann.

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      • Klaus E. Ulinski
      • 26.08.21, 10:56 Uhr

      Lieber Herr Pahl,
      der „gute Christenmensch“ sollte m. E. nicht unbedingt auch darauf hindeuten, dass es sich um einen „guten“ Christen handelt. Wenn wir schon bei Fragen sind: ist die Verwendung eines Adjektivs in Verbindung mit „Christsein“ überhaupt zulässig? Gibt es einen „guten“ Christen? Dann gäbe es ja auch „bessere“ Christen oder gar einen oder ein, der/die „am besten“ wäre, da man „gut“ ja auch steigern kann in „gut – besser – am besten“?
      Und: Wie bitte schön unterscheidet sich denn ein „zeitgenössischer“ Christ von einem, der sagen wir mal vor 2000 Jahren lebte? Sie wenden ein, vor 2000 Jahren gab es ja die Einordnung „Christ“ noch nicht? Nun gut, sagen wi der Samariter, der am Wegesrand einen Schwerverletzen liegen sah und Verantwortung für ihn übernahm? Nehmen wir den Christen von vor ca. 80 Jahren, der am Vorabend seiner Hinrichtung ein Lied dichtete, dass die „zeitgenössischen, guten Christenmenschen“ ab und an heute noch singen („Von guten Mächten wunderbar geborgen“). Nehmen wir aber auch den besonders „guten Christenmenschen“ Reichsjugendführer Robert Ley und seine „zeitgenössischen Christenmenschen“, die die Nazis als „Retter des Christentums“ hochstilisierten.
      Es gibt keinen „zeitgenössischen“ Christen. Es gibt auch keinen „guten“ Christen. Am Ende gibt es nur den Menschen, der sich z. B. von christlicher geprägter Ethik in seinem Denken, Reden und Handeln leiten lässt. Das ist dann sozusagen eine Art „Leitkultur“ (auch so ein Begriff, die ja diese Herren Springer und Lietzmann so umtreibt). Diese christliche Ethik unterliegt keinem Zeitbegriff und keiner adjektivischen Steigerungsform und ist niemals relativ. Sie ist absolut.
      Insofern sind Ihre Fragen zurückzuweisen. Und den religiösen Gemeinschaften in Wermelskirchen, in denen die beiden Herren fest „verankert“ sein sollen sei geraten, die „Verankerung vor genau diesem ethischen Absolutheitsanspruch des Christseins gründlichst zu hinterfragen

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