Starker Tobak

Oder: Vom Vorurteil zum Ressentiment

VON WOLFGANG HORN

Jede öffentliche Debatte über die Entwicklung und Gestaltung der Stadt, über Vorhaben der Verwaltung, der politischen Parteien, über Projekte von Investoren oder christlichen Jugendgruppen, von Kirchen oder anderen Vereinen ist gut. Das öffentliche Gespräch ist einer der Garanten dafür, daß nichts nur in spärlich beleuchteten Hinterzimmern eingetütet und abgewickelt wird, fernab vom demokratischen Willen der Menschen in der Stadt. Das öffentliche Gespräch, der Streit der Meinungen, der Kampf ums bessere Argument ist sozusagen das Salz in der Suppe der Demokratie.

In diesem Sinne begrüße ich die Meinungsäußerung der sechs Herren, die sich gegen das von der Bowl Church vorgeschlagene Workshopkonzept im Freizeitareal Eifgen ausgesprochen haben. Jede Frage ist erlaubt. Die nach der Finanzierung. Die nach der missionarischen Absicht der Projektentwickler. Die nach der Absicherung des Konzepts. Die nach der Bereitschaft, der Stadt vertraglich einen Zugang für alle Menschen jenseits ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer sozialen Stellung einzuräumen. Das ist alles erlaubt. Mehr noch: Geboten. Bei einem Projekt derartiger Größe in dieser hervorgehobenen Lage, verbunden mit den in Rede stehenden Kosten müssen alle Interessenten Auskunft geben. Bis in den hintersten Winkel ihrer Überlegungen und Überzeugungen hinein.

Für fragwürdig allerdings halte ich den Verdächtigungsmodus des Offenen Briefes. Der lange Brief hat noch kaum begonnen, da ist schon die Rede davon, daß bislang eine „vorurteilsfreie“ und „fundierte“ Meinungsbildung nicht möglich gewesen sei. Wie bitte? Sind all jene, die das öffentliche Verfahren um dieses Areal der Stadtentwicklung im Eifgen für fragwürdig und unzureichend halten und aus diesem Grund den Abschluß des alten und die Aufnahme eines neuen Verfahrens fordern, vorurteilsbeladen? Oder kommt die Zustimmung vieler Menschen in der Stadt zu den Projektüberlegungen der Bowl Church wegen mangelnder Urteilsfundierung zustande? Nein. In dieser Causa ist niemand im Besitz der letztgültigen Wahrheit. Keine Kirche, keine Freikirche, kein Kirchenfeind, kein Freikirchenfeind. Hier geht es um Interessen, die verhandelt und ausgetragen werden müssen. Und am Ende muß eine Entscheidung getroffen werden. Im Lichte der Argumente. Nicht im Licht der kräftigsten Vorurteile.

Bei der Bowl Church handelt es sich um freikirchlich organisierte Jugendliche. Das hat niemand verschwiegen. Aber heißt das auch, daß alle Überlegungen, die von dort aus vorgetragen werden, mit dem Odium missionarischer Eiferei verbunden sind? Kann mir jemand erklären, warum der gegenmissionarische Eifer bislang und zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt hat etwa im Zusammenhang mit dem Jugendcafé am Markt? Wenn die Freikirchen-Mission sich wirklich klandestin hinter sozialem Engagement versteckt, warum nicht beim JUCA?.

Ich bin ein Heidenkind. Freiwillig bin ich mit fünfzehn Jahren aus der Kirche ausgetreten. Meine erste Schule war noch die Evangelische Volksschule Porz. Taufen lassen aber hat mich meine Oma, gegen den Willen meines Vaters, in einer römisch-apostolischen Kirche in Köln, was mir, ehrlich gesagt, nichts ausgemacht und mir auch keinen weiteren Schaden zugefügt hat. Wie heißt es in dem Roman von Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“, in dem es um das Leben im Konzentrationslager Buchenwald und die Rettung eines Kindes geht: „Der liebe Gott verläßt keinen Freidenker.“ So ist es. Jeder soll nach seiner Facon selig werden.

Aus der Rhetorik von Predigten aber, die Bowl Church in You-Tube eingestellt hat, schließen die Autoren des Offenen Briefes auf die Unredlichkeit der Projektüberlegungen von Bowl Church. Sie können sich nicht vorstellen, heißt es in dem Brief, „dass der ‚Creative Space‘ langfristig ein Treffpunkt für Jugendliche aller Weltanschauungen, Kulturen und verschiedener sozialer Hintergründe sein würde.“ Das ist perfide. Ich kann mir das vorstellen. Auch als Heidenkind. Als Freidenker. Als kirchenloser Bürger dieser Stadt. Und um sicherzugehen, wünsche ich mir eine Vertragsgestaltung mit der Stadt, die eben dies garantiert. Die bloße Mutmaßung, das Sich-Nicht-Vorstellen-Können, ist ein reines Vorurteil. Dafür gibt es keinen Beleg. Auch nicht im offenen Brief.

Das nächste verräterische Adjektiv im Offenen Brief ist „wirklich“. Die Autoren bramarbasieren von einer „wirklichen Absicht“ der Initiatoren. Das ist ebenfalls perfide. „Viele Jugendliche würden sich, wenn sie die wirkliche Absicht der Initiatoren erkennen, zurückziehen. Es würde genau das festgeschrieben, was bei den meisten uns bekannten Freikirchlern der Fall ist: Man bleibt unter sich und unterstützt und fördert hauptsächlich Gemeindemitglieder.“ Butter bei die Fische: Von wem ist da die Rede? Welche Ereignisse sind gemeint? Wann und wo hat es das in Wermelskirchen gegeben? Fakten oder Vorurteil?

Weiter im Text: „Besonders ärgerlich ist aus unserer Sicht auch die Tatsache, dass das in der Satzung festgeschriebenen Ziel , Kinder und Jugendliche für Jesus zu begeistern , geschickt verschleiert wird, indem man die Öffentlichkeit glauben machen will, ‚unabhängig von Alter, Herkunft, Religion und Milieu‘ für religiöse Einfluss- nahme unverdächtig erscheinende Workshopangebote zu machen.“ Von welcher Tatsache ist hier die Rede? Die Satzung der Bowl Church kann enthalten, was die Verantwortlichen für ihren Verein für richtig halten. Daraus abzuleiten, daß die Bowl Church die Öffentlichkeit mit ihrem Projekt hinter die Fichte führt, ist perfide. Es geht um eine Fläche, die die Stadt verkauft oder zur Verfügung stellt. Die Rahmenbedingungen für die Nutzung kann die Stadt gestalten. Soweit waren wir schon. Das Argument ist aber kein Argument, sondern eine geschickt formulierte Unterstellung. Es geht um die Pflege des Vorurteils, „in Wahrheit“ gehe es nicht um einen Creative Space im Eifgen, sondern um eine Missionsverschwörung. Dazu dienen auch die Formulierungen, hier werde „nicht mit offenen Karten“ gespielt, die „wirklichen Absichten“ würden durch „geschicktes Taktieren“ verborgen, „im Hintergrund“ seien „einflußreiche Unterstützer“ tätig, die „freikirchliche Gemeinschaft“ sei „verborgen im Hintergrund“. Das sind profunde Ressentiments. Mit Ressentiments läßt sich nicht argumentieren. Ressentiments sollen Emotionen hervorrufen, Vor-Urteile schüren, Menschen ausgrenzen aus einer Gemeinschaft.

Mit diesem Brief tun die Autoren einer rationalen Debatte um unterschiedliche Konzepte für die Nutzung des Eifgenareals keinen Gefallen. Und sich selbst auch nicht. Wer derart von freikirchlicher Machtübernahme schwurbelt, ohne auch nur ein einziges Argument zu liefern, wer allenfalls Ressentiments beisteuert, wo Ideen gefragt sind, Einwände, Überlegungen, wer Menschen aus vielleicht randständigen religiösen Zirkeln derart überzieht mit dem Odium der schlechten Absicht, der Geheimniskrämerei, der kirchlichen Hinterzimmer, der Verschwörung im Namen Jesu, der hat sich aus einem rationalen Dialog schon verabschiedet. Schade.

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

    • Horst Rosen
    • 11.06.21, 18:57 Uhr

    Messerscharf auf den Punkt geschrieben. Kotau!!
    Die Suche im Internet nach Synonymen für
    “perfide” lauten : hinterhältig, heimtückisch, hämisch, tückisch, intrigant

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    • Hans Dieter
    • 11.06.21, 23:10 Uhr

    Dieser Artikel deckt wesentlich mehr auf als der offene Brief! 👍

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