Der Friedhof Wermelskirchen als zeitgeschichtlicher Erinnerungsort

VON WOLFGANG HORN

Mehr als 35 Menschen hatten sich angemeldet, versammelt waren am Ende annähernd 50 Personen: Es ging um den Stadtspaziergang auf dem Städtischen Friedhof, veranstaltet von der Volkshochschule Bergisch Land, der Stadt und dem Verein Bergische Zeitgeschichte. Den Friedhof als Ort, nachgerade als Dokument der Zeitgeschichte stellte dem interessierten Publikum Armin Himmelrath vor, Bildungsjournalist, Publizist und Historiker aus Wermelskirchen. 

Die Corona-Pandemie mit ihren besonderen Anforderungen der Kontaktbeschränkung machte es erforderlich, den Spaziergang zur Erkundung der historischen Bezüge diesmal gemeinsam in der digitalen Welt der Computer, Tablets und Mobiltelefone zu erleben. Armin Himmelrath hatte die sechs Stationen seiner Führung über den Friedhof bereits morgens, in aller Frühe mit Handy aufgezeichnet, und konnte so den Teilnehmern an den Rechnern einen Eindruck vermittelt, wo sich die einzelnen Kapitel des Vortrages auf dem Friedhof abspielen.

Spannender als die Lektüre eines zeitgeschichtlichen Buches oder ein akribischer Expertenvortrag war die muntere Erzählung von Armin Himmelrath, der kenntnisreich und genau, aber auch ohne jede professoral-belehrende Attitüde einen großen Bogen zu spannen wußte über Episoden der Geschichte Wermelskirchen während der Naziherrschaft und dem Zweiten Weltkrieg. Opfer und Täter, Kommunisten und Nazis, Zwangsarbeiter, Widerstandskämpfer und Mitläufer – auf dem Stadtfriedhof liegen die Gräber dicht beieinander und berichten von der Geschichte Wermelskirchens unterm Hakenkreuz.

Kurt Wohl, jüdischer Arzt, der an der unteren Eich praktizierte, wurde von den Nazis vertrieben, nachdem man ihm, wie anderen ausreisenden Juden, mit Ausreisesteuern und „Sühne-Abgaben“ den Großteil seines Vermögens entwendet hatte, kehrte nach dem Krieg nach Wermelskirchen zurück und stellte hier wegen der Vertreibung verschiedene Entschädigungsansprüche. Die wurden allesamt abschlägig beschieden, wohl auch, weil ein Arzt, der während der Naziherrschaft Kurt Wohl schon denunziert hatte, nach dem Krieg an der Erstellung von Gutachten über Wohl beteiligt war. Die unheimliche Verbindung der Nazidiktatur mit der Nachkriegsrepublik hat auch um Wermelskirchen keinen Bogen gemacht.

Weiter ging es zu dem Grab eines Luftwaffenhelfers, der, aus Wermelskirchen stammend und hier auch zu Grabe getragen, 1944 in Dortmund bei einem Bombenangriff zu Tode kam. Erst sechzehn Jahre alt. Das Leben war schon zu Ende, bevor es richtig gelebt werden konnte.

Der Katholische Pfarrer Zentis ist hier begraben und eine Steele ist zur Erinnerung an ihn auf dem (ehemals strikt getrennten katholischen Teil des Friedhofs) errichtet worden. In der Sparkasse, die sich in den vierziger und fünfziger Jahren genau gegenüber dem Friedhof auf der Berliner Straße befand, grüßte Pfarrer Zentis mit einem freundlichen „Guten Morgen!“, um im Nachsatz den Bankbeamten ein „Und den Herren Beamten ein Heil Hitler“ über den Tresen zuzurufen. Damals war es wirklich mutig, auf diese Weise zu grüßen.

Armin Himmelrath führte den großen Tross dann zur Gedenkstelle für die vielen Zwangsarbeiter, die seinerzeit in Wermelskirchen leben mußten. Man schätzt heute, daß mehrere hundert, vielleicht sogar eine niedrige Tausenderzahl von Arbeiterinnen und Arbeitern vor allem aus dem Osten, Rußland und Ukraine, im Bergischen Zwangsarbeit verrichten mußten. Unter ihnen beispielsweise 30 ukrainische Mädchen, die in einer Schuhfabrik Stiefelschäfte für die deutsche Wehrmacht herstellen mußten. Jersey Krason, Ukrainer, 15 Jahre alt, ist nach dem Krieg an einer Bauchfellentzündung gestorben. Ein Stein erinnert an das junge Leben, das bereits zu Ende war, bevor es noch richtig hatte beginnen können.

Ein Gedenkstein erinnerte an 18 Mitarbeiter der Firma Jörgens & Co. KG, die bei einem Bombenangriff 1945 ums Leben kamen. Die Firma hatte auf dem Gelände der heutigen Kattwinkelschen Fabrik Flugzeugbauteile produziert und geriet somit ins Visier der alliierten Bombardements.

Ein Brauereikeller in unmittelbar Nähe des Friedhofs diente während des Krieges als Luftschutzraum während der Bombenangriffe. Die Ehefrau des Wermelskirchener Naziführers Vogt hielt vor dem Eingang des Bunkers Wache und verweigerte der Ehefrau und der Tochter ihres Nachbarn, nur zwei Häuser neben der eigenen Wohnung lebend, Fastenrath, den Zugang zum Bunker mit der Begründung, der Kommunist Fastenrath befinde sich im Lager und mithin könnten Ehefrau und Tochter den Schutz des Bauereikellers nicht in Anspruch nehmen. Die Mutter Fastenrath schützte ihre Tochter während der Bombardierung vor dem Luftaschutzraum, indem sie sich über das Kind kauerte. Der Faschismus beseitigte auch jeden nachbarschaftlichen Zusammenhalt, den allermindesten menschlichen Impuls und ließ Menschen vertieren.

In der Nähe des Friedhofseinganges befindet sich eine Gedenkstätte der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, von der Armin Himmelrath berichtete, daß es bereits in den fünfziger Jahre erste Schändungen gegeben habe. Die Friedhofsschändung bleibt eine furchtbare historische Konstante in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch in der jüngeren Zeit wird ab und an von vergleichbaren Taten berichtet, von umgestürzten jüdischen Grabsteinen, von Beschmierungen.

Schließlich führte Armin Himmelrath zum Gedenkstein von Pfarrer Dellmann, der zwischen 1881 und 1910 in Wermelskirchen seinen Kirchendienst tat und den alteingesessenen Wermelskirchenern zu ihrem „Zweitnamen“ Dellmänner verhalf. Daß die Bezeichnung Dellmann auf den Pfarrer zurückgeht, dürften den meisten Menschen hier bekannt sein. Daß der Pfarrer Dellmann indes seinerzeit überaus populär war, vor allem großen Zuspruch bei Mädchen und jungen Frauen genoß und fast eine Rolle gespielt hat, wie sie heute regionalen Pop-Stars oder Internet-Influenzern zukommt, das war eine neue Information, die Armin Himmelrath vergnügt zu präsentieren wußte.

Man kann die ganzen Einzelheiten nicht wiedergeben, die Debatten, die Zusatzinformationen, die den Friedhofsspaziergang heute Vormittag zu einem solchen Erfolg werden ließen. Kaum jemand hat sich vor dem Ende der Veranstaltung verabschiedet. Auch die Überziehung der ursprünglich geplanten Spazierzeit wurde goutiert.

Ein toller Friedhofsspaziergang, Lehrstunde und Vergnügen zugleich. Mein Dank und der der Teilnehmer gehen an die Verantwortlichen, die Volkshochschule, den Bergischen Geschichtsverein und Armin Himmelrath. Was der Pandemie geschuldet war, hat sich meiner Ansicht nach als geeignetes eigenes Format einer Beteiligung an lokalen Exkursionen, an Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen erwiesen, das auch Fußkranke, alte Menschen, Behinderte oder Chroniker zu erreichen und zur Teilnahme zu motivieren vermag. Ich wünsche mir mehr von diesen Veranstaltungen. Etwa zum internationalen Frauentag, zum Antikriegstag, zum Tag der Menschenrechte, zum Tag der Armut und zu vielen anderen Gelegenheiten.

Beitragsfoto: Armin Himmelrath

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Rainer Groß-Hardt
    • 01.02.21, 11:52 Uhr

    Ich habe hier sehr interessiert mit gelesen , leider stellte ich vor Jahren
    das ich eigentlich nicht viel von meiner Stadt weiß. Versuche das nach und nach über Bücher reinzukriegen .

    Wo ich noch bei Fb war hatte ich mal angeregt vielleicht in den hiesigen Zeitungen eine Geschichtsseite über Wk einmal im Momat einrichtet .
    Vielleicht mit Geschichtsverein und anderen kompetenten Menschen.
    Das wäre für mich ein Grund die Zeitung wieder zu holen .

    Im Nachhinein finde ich es auch schade das in meiner Schulzeit kein Geschichtsunterricht gab speziell mit Wermelskirchener Geschichte .
    Weiß nicht wie das heute in der Schule ist , denke das auch eine wichtige Sache ist wie Herr Himmelrath und viele andere aus Wk zeigen. Vielen Dank an diese Zeilen oben. Mfg Rainer G-H

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