Ein Lob der Pandemie

VON WOLFGANG HORN

Corona, Pandemie, das ist Entsagung, Askese, Beschränkung, Verlust. Das ist (vorübergehende) Einschränkung von Freiheit, sind Ängste, ist Empörung, Mulm. 

Das stimmt alles. Die Corona-Pandemie ist eine gewaltige Naturkatastrophe mit allerheftigsten Folgen für alle Menschen. Es gibt kaum etwas Gutes zu berichten vom Virus und seinen Folgen.

Und doch stimme ich ein Lob an auf Corona. Die schlimmen Folgen des Virus für das Zusammenleben der Menschen, für Bildung, Arbeit und Studium, die Kontaktbeschränkungen, die Isolierung, der Rückzug aus dem Öffentlichen haben auch zur Folge, daß derzeit Angebotsentwicklungen ausgedacht und dargeboten werden, an die vor Monaten nicht einmal gedacht werden konnte. 

Beispiele gefällig? Ein erst in der Pandemie fertig gewordener Film von Milo Rau, Das Neue Evangelium, trifft auf geschlossene Kinos. Nun kann man im Internet eine Kinokarte kaufen und den Film streamen. Zudem kann man auswählen, welches von etwa 90 Kinos von der eigenen (Stream-)Eintrittskarte profitieren soll. Das Kölner Theater am Bauturm hat 2020 ein Projekt begonnen, das wegen der Theaterschließungen ab Herbst nicht vollendet werden konnte. Die Macher haben nun einen Film, sozusagen einen Theaterfilm, erstellt, in dem das Projekt zu bewundern ist: DAS THEATER UND SEIN DOUBLE. EINE PROJEKTION. Die Kölner Oper stellt mittlerweile mehrere Produktionen im Internet vor, unter anderem EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH, eine exklusive Online-Serie aus sechs Folgen. Pfiffig.

Ich selbst habe eine ausgesprochen überzeugende Lesung aus einem Werk einer in England lebenden und aus Somalia stammenden Autorin im Begegnungscafé Himmel un Ääd verfolgt, die Online weit mehr Zuschauer hatte, als jemals hätten sich im Café versammeln können. Die Vorstellung von zwei hochinteressanten Studien über Jugend und Corona durch den Deutschen Kinderschutzbund fand in Berlin statt. Und Online. Deswegen konnte ich mich aus erster Hand informieren. Zu einem Vortrag über die Spanische Grippe vor einhundert Jahren und die Ähnlichkeiten mit dem pandemischen Geschehen heute wäre ich vermutlich nicht nach Schildgen in Bergisch Gladbach gefahren. Als Online-Debatte waren Referat und Diskussion gut erreichbar. Wann hat man ansonsten die Möglichkeit, beispielsweise eine Grundsatzdebatte über das bedingungslose Grundeinkommen in Berlin mit Teilnahme mehrerer Bundestagsabgeordneter zu besuchen? Oder eine Veranstaltung der Jungen Union in Remscheid mit dem MdB Jürgen Hardt. 

Veranstaltungen unterschiedlicher Akademien in Köln und sonstwo sind auf einmal zugänglich, erreichbar. Der Friedhofsspaziergang heute in Wermelskirchen, veranstaltet von der VHS Bergisch Land, war auch Online ein spannendes Erlebnis. Online bedeutet keineswegs staubtrocken, blutleer, technisch. Im Gegenteil. Die derzeit blühende Online-Kultur wird bleiben, auch wenn die Pandemie überwunden sein wird. Der filmische Rundgang durch ein Museum in Bergisch Gladbach, in dem die gemalten Entwürfe einer Bildhauerin ausgestellt werden, sollte für jene bestehen bleiben, die, aus welchen Gründen auch immer, das Museum selbst nicht besuchen können. Eine randvolle Veranstaltung des Deutschen Fußballbundes mit annähernd einhundert Teilnehmern hat erwiesen, daß Online auch technisch durchhält. In der gleichen Woche war ich bei einem Seminar der Uni Tübingen. Der Remscheider Bürgerdialog zum Radwegekonzept war ebenso zugänglich wie der Vortrag eines konservativen Publizisten zum Thema Rechtspopulismus. Im Forum Wermelskirchen wurden von Cynthia van Lijf zwei ungewöhnlich schöne Vorträge zur bildenden Kunst gehalten, zu den Bildern von Banksy und der Darstellung von Weihnachten in der Geschichte der Malerei.

Kurzum: Online wird seine eigene Bedeutung haben auch dann, wenn wir über Corona schon lange nicht mehr sprechen. Online ergänzt lokale Schlichtheit mit ubiquitärer Reichhaltigkeit. Man muß keineswegs zu jedem Meeting weite Strecken fahren, in Hotels nächtigen, die Freizeit an der Bar verbringen. Vieles von dem, was bislang nur so abgewickelt wurde, wird online vonstatten gehen. Nicht alles. Aber immerhin.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Frank Hermes
    • 03.02.21, 7:16 Uhr

    Schach boomt. Auch wenn Nahschach nie komplett durch die online Variante ersetzt werden kann, haben wir vom Schachverein Wermelskirchen eine online trainingsgruppe und nehmen an der Deutschen online Schach Meisterschaft teil.

    So spielten wir schon gegen Dortmund, Kiel, Paderborn und Torgelow.

    Online Schach Portale wie Chess.com und lichess und schach.de gab es schon vor der Pandemie und sichern online vereinsturniere mit externer Beteiligung und schach gegen und mir Menschen aus aller Welt.

    Wir wollen nicht meckern, dennoch möge lockdown u pandemie bald beendet sein.

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