Schon ein Jahr lang …

Ein Wort zum Montag, dem 19. Oktober 2020

VON CORNELIA SENG

Schon ein Jahr lang schreibe ich am Wochenende ein „Wort zum Montag“. Damals habe ich als Beitragsbild oben die Ikone „Jesus und sein Freund“ gewählt. Sie zeigt Jesus und Menas, der im 3. Jahrhundert nach Christus in Ägypten gelebt hat. „In der Geste der Umarmung leben“, so habe ich damals geschrieben. Der Ausdruck stammt von Frère Roger, dem verstorbenen Prior von Taizé.

Aber wie lebt man heute „in der Geste der Umarmung“, Tag für Tag? Wie weiß man sich von Gott unterstützt und ermutigt? Auch Menas hat Jesus nicht mehr persönlich gekannt, es ging ihm nicht anders als mir. Und den vielen anderen Menschen seit gut 2000 Jahren „nach Christus“. Immer wieder wurden andere Ausdrücke für dieses Leben in Freundschaft mit Jesus gefunden – „in Gottes Liebe bleiben“, zum Beispiel.

Für mich ist das wöchentliche Schreiben auch ein Experiment. Ereignet sich wirklich etwas in meinem Leben, in dem ich „die Geste der Umarmung“ sehen kann? Ist etwas der Mitteilung wert?

Zweimal hätte ich fast aufgegeben zu schreiben. Das erste Mal, weil ich direkte Reaktionen vermisst habe. Bisher hatte ich immer vor Schülern oder Gottesdienstbesuchern geredet, an ihren Gesichtern konnte ich schnell ablesen, wenn sie sich langweilten. Beim zweiten Mal ist mir in Corona-Zeiten nichts eingefallen, weil eben „nichts passiert“ ist zu Hause. Zum Schluss habe ich dann darüber geschrieben.

Ich schreibe keine Auslegungen zu Bibelsprüchen, vielmehr deute ich, was ich erlebe, im Horizont der Bibel. Was ich zitiere, hat wirklich jemand gesagt. Auch die beigefügten Fotos habe ich selbst gemacht. Ich schreibe keine „Geschichten“, so sehr ich Geschichten mag. Ich will darüber schreiben, wie ich heute lebe mit der „Philosophie“ der Bibel, mit ihrer Lebensweisheit. Christsein ist keine religiöse Zutat zum normalen Leben, Christsein ist Menschsein, eine Perspektive, ein Verstehen des Menschseins. Und ich verantworte mein Leben vor Gott und den Menschen, auch im politischen Kontext. Ich bin mündige Staatsbürgerin einer Demokratie, kein Untertan. Ich trete selbständig für das Grundgesetz unseres Staates ein. Und achte auf die Einhaltung der Menschenrechte.

2010 hatte ich ein Sabbatsemester. An der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal habe ich unter anderem die Vorlesungen von Jonathan Magonet gehört, dem Rabbiner und jüdischen Theologen aus London. Zu Beginn der Vorlesung setzte er immer seine Kippa auf. Damit war für alle sichtbar und klar, in welchem Horizont, in welcher Tradition er jetzt sprach. Ich habe keine Kippa, aber ich habe mein Menschsein, mein Leben.

„Über alles aber zieht an die Liebe“, schreibt der Apostel Paulus (Kol 3,14). So ist also das Leben „in der Geste der Umarmung“.

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

    • H. Rosen
    • 17.10.20, 11:32 Uhr

    Guten Morgen Frau Seng,
    wenn Sie nicht schreiben, fehlt uns was. Nicht nur in diesen harten Corona-Zeiten.
    Also, ich freue mich auf nächste Woche, und dann die Woche, und dann die Woche….und so weiter.
    Mit Bergischen freundlichen Grüße
    Horst Rosen

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      • Cornelia Seng
      • 18.10.20, 8:48 Uhr

      Danke für die Ermutigung!

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