Paralipomena* zu Rainer Bleek

VON WOLFGANG HORN

Mir steht es nicht zu, eine Würdigung der Amtsführung von Rainer Bleek zu verfassen und ich könnte es auch nicht. Da gibt es Berufenere in der Stadt. Ich kann hier lediglich ein paar Gedanken aufschreiben, einige Kommentare wiedergeben, wie sie mich angesichts des doch überraschenden Ausgangs des ersten Wahlgangs der Bürgermeisterwahl vor wenigen Tagen erreicht haben und noch erreichen. Und das alles gebe ich unsortiert preis, unsystematisch, nicht chronologisch, nicht durchgearbeitet wie etwa in einem Essay.

Die Tatsache, daß mit der Wahl am Sonntag eine für die politischen Kräfteverhältnisse in der Stadt doch ungewöhnliche Amtszeit eines sozialdemokratischen Bürgermeisters zu Ende gehen wird, hat auch etwas damit zu tun, wie diese Amtszeit begonnen hat. Die junge Riege in der CDU hatte einen Kandidaten nominiert, der die schon sehr früh aufkommenden Zweifel in politischen Kreisen wie auch in der Bürgerschaft an seiner Eignung, eine doch recht große Verwaltung führen zu können, während der ganzen Zeit der Kandidatur nicht ausräumen konnte. Zudem waren Querelen im bürgerlichen Lager wie auch diverse Ansprüche nach politischer Leaderschaft früh erkennbar, als neben dem CDU-Kandidaten auch ein respektabler, von der FDP unterstützter Unabhängiger, Marc Diluweit, seinen Hut in den Ring geworfen hatte. 

Das heißt auch, daß wir es seinerzeit mit drei Kandidaten zu tun hatten, von denen man im Vorhinein nicht zu sagen wußte, ob sie “Verwaltung können”. Die Stimmen, also auch die Stimmen des sogenannten bürgerlichen Lagers, teilten sich mithin auf drei Kandidaten auf, so das es beinahe zwingend zu einer Stichwahl kommen mußte. Und: es ging nicht um eine Wiederwahl. Der amtierende Bürgermeister Eric Weik trat ja nicht mehr an. Es hätte also ohnehin zu einem Wechsel im Amt kommen müssen. 

Schauen wir auf den vergangenen Sonntag. Der amtierende Bürgermeister tritt an, versehen, wie die meisten meinten, mit einem Amtsbonus. Ich habe früh gewarnt vor dem Glauben an einen automatischen, sozusagen eingebauten Vorsprung des Amtsinhabers vor seinen Konkurrenten. Daß der Amtsbonus vor einer Wahlniederlage nicht schützt, war seinerzeit beim Übergang von Bürgermeister Heckmann auf seinen Nachfolger Weik zu beobachten. Die stärkste politische Kraft in der Stadt, die CDU, hatte die Wechselstimmung unterschätzt. Die SPD hatte die politische Stimmung damals ebenfalls falsch eingeschätzt und war sich sicher, gegen Heckmann in einer Stichwahl gewinnen zu können. Dazu kam es indes nicht. Eric Weik hatte die Wahl gegen den CDU-Kandidaten mit einem überwältigenden Ergebnis gewonnen. Und blieb elf Jahre lang Bürgermeister. 

Jetzt, am Sonntag war eine größere Wechselstimmung in der Stadt nicht zu vernehmen. Das führte zu einer gewissen Sorglosigkeit, auf fast allen Seiten im übrigen, daß Rainer Bleek die Stichwahl werde erreichen und dort mit den Erfahrungen in der Leitung der Verwaltung und auch dem Erreichten die Bürgermeisterwahl erneut werde womöglich gewinnen können. 

Zudem reichte der Stimmenanteil des Bürgermeisterkandidaten der FDP, Marco Frommenkord, trotz eines innovativen Wahlkampfes bei weitem nicht an die Ergebnisse von Marc Diluweit bei der letzten Bürgermeisterwahl heran. Was Rainer Bleek seinerzeit den Weg in die Stichwahl geebnet hatte, der Stimmenanteil des von der FDP unterstützten Kandidaten, hat ihm diesen Weg bei der Wahl am Sonntag verschlossen. Und: Er trat nicht gegen jemanden an, dessen Führungskompetenz von Beginn der Nominierung an bezweifelt wurde, sondern gegen eine Kandidatin, die beruflich in einer Verwaltung tätig ist. Man weiß und wußte wenig über die Kandidatin. Man fragte und fragt sich, was Ihre Überlegungen hinsichtlich der Entwicklung von Wermelskirchen sind. Aber eins fand und findet nicht statt: ihre Verwaltungserfahrung wurde und wird nicht wirklich Zweifel gezogen. 

Amtsbonus und Reputation, Wahrnehmung und Einschätzung des Bürgemeisters und seiner Arbeit, seines öffentlichen Auftretens, seiner Leitungs- und Teamqualitäten im Rathaus werden auf mindestens drei Ebenen vielleicht ganz unterschiedliche Ergebnisse zutage fördern. Fragt man im Rathaus nach, fragt man nach dem Chef und einer individuellen Bewertung desselben. Jeder weiß aus eigener Berufserfahrung, daß derartige Fragen heikel sind. Ist man einmal mit dem Chef ananeinander geraten, fühlt sich jemand bei einer Beförderung übergangen, drückt der Chef zu sehr auf die Tube und wählt harsche Ausdrucksformen, fallen die Antworten wahrscheinlich anders aus, als wenn der Chef die Arbeit oft gelobt hat, gute Teams zusammenstellen konnte, sich angenehmer Umgangsformen befleißigt.

Das politische Umfeld ist naturgemäß eher gespalten in Anhänger und Gegner. Die ziemlich einzigartige Konstellation mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister bei einer eindeutigen Mehrheit der Parteien im Rat und in der Stadt, die für sich die Beschreibung als „bürgerlich“ in Anspruch nehmen, sowie zwei Beigeordnete mit CDU-Parteibuch an der Seite des Verwaltungschefs wie auch einen Kämmerer aus dieser Partei spricht, von außen gesehen, dagegen, daß es immer harmonisch zugeht und zuging in der Verwaltungsspitze. Im Rat der Stadt war in den öffentlichen Sitzungen, wie in manchen Ausschußsitzungen auch, zu spüren, mitunter auch zu erleben, daß und wie unterschiedlich die Positionen in entscheidenden Fragen der Stadtentwicklung zwischen Bürgermeister und der ihn unterstützenden SPD und den Mehrheitsfraktionen waren. Die politischen Ziele, die Bleek zu Beginn seiner Amtszeit verkündet hatte, sind zu einem kleineren Teil erreicht, zu einem größeren Teil auf den Weg gebracht. Der Jugend- und Freizeitpark und sein baldiger Baubeginn sind das erfolgreichste Projekt, die Flüchtlingsproblematik ist von der Verwaltung um grano salis gut und human verwaltet, der Sport ist mit den Kunstrasenplätzen und der grünen Asche in Pohlhausen gut bedient worden, die VHS hat ihr Domizil, die Sekundarschule ist auf dem Weg zur räumlichen und pädagogischen Normalität, das Hallenbad ist in Planung und der Baubeginn für den Loches-Platz ist fest terminiert. Und schließlich, um nur noch wenige Themen aufzugreifen, wird die Stadt einen Stadtarchivar einstellen, ist das Ende der Haushaltssicherung in Sicht und sind für viele der Vorhaben Fördergelder akquiriert worden. Der harte Sparkurs, von Eric Weik seinerzeit eingeführt, der die Gefahr in sich barg, die Verwaltung bis zur Handlungsunfähigkeit zu knebeln, wurde unter Bürgermeister Bleek gelockert, es wurden Stellen eingerichtet, die für eine effiziente Arbeit unumgänglich sind. Das alles macht kein Bürgermeister ganz alleine. Für das alles und einiges mehr hat die ganze Verwaltung auf allen Ebenen gearbeitet. Aber: Das alles und einiges mehr gehört auch zur Bilanz des Bürgermeisters Rainer Bleek.

Die Bürger, die ansonsten selten Rats- oder Ausschußsitzungen besuchen, die Kommunalpolitik durch den Filter der Lokalzeitungen wahrnehmen oder dem, was in sozialen Medien mitunter gepostet wird, haben wiederum einen anderen Blick auf Kommunalpolitik und die Reputation des Bürgermeisters. Ihr Urteil dürfte darauf basieren, wie der Bürgermeister öffentlich aufgetreten ist, welche Projekte er in der Stadtöffentlichkeit präferiert und erfolgreich vertreten hat, wie er mit Vereinen und Initiativen, mit Ehrenamtlichen vernetzt war und deren Interessen aufgenommen hat. In dieser Hinsicht war nach meiner Wahrnehmung keine Stimmung zur Ablösung von Rainer Bleek vom Bürgermeisteramt zu vernehmen. Zu hören war eher, daß das Lob für die Durchsetzung des Jugendfreizeitparks sowie sein Einsatz für eine veränderte Verkehrsregelung in der Innenstadt, beides gegen massierten politischen Widerstand der konservativen Seite, wesentlich dafür war, dem Bürgermeister eine in der Tendenz positive Amtsführung zu attestieren. Jedenfalls gab es keine Wechselstimung in der Stadt, die mehrheitlich zwar strukturkonservativ ist, aber im Kern auch über eine große und wirksame liberal-aufgeklärte und humane Zivilgesellschaft verfügt, was beispielsweise nicht zuletzt an einer Flüchtlingsinitiative abzulesen ist, die, als es erforderlich war, mit mehreren hundert Helfern die ärgste Not in Angriff nahm und den Geschundenen zur Seite stand, oder an einer Kulturinitiative, die, in der ganzen Bergischen Region einmalig, sehr schnell aus ganz kleinen Anfängen mit einigen Musiker-Enthusiasten zu einem der entscheidenden kommunalen Big Player im Kulturbetrieb heranwuchs und heute das Haus Eifgen samt Biergarten als einen zentralen Kulturbetrieb der Stadt betreibt. Bürgermeister Bleek ist im übrigen, im Gegensatz zu vielen anderen Kommunalpolitikern, schon in der Entstehungsphase der Kulturinitiative beigetreten.

Kein Amtsbonus, aber auch keine Wechselstimmung. Es bleibt das Duell zwischen dem älteren Mann und der jüngeren Frau. Der ältere Mann an der persönlichen Grenze zum Übergang in die Pension, die Frau mit Charme wesentlich jünger, so daß sie womöglich für eine längere Amtszeit zur Verfügung stehen könnte. Rainer Bleeks hervorstechende Eigenschaft ist gewiß nicht die Diplomatie. Er kann gewinnend auftreten, mit Charme, auch witzig, er kann aber auch barsch und harsch, kämpferisch und verbissen, dann des groben Wortes durchaus fähig. Frau Lück hingegen trat eher gefühlig auf, ständig die Floskel von der „Kleinstadt mit Herz“ beschwörend, insoweit emphatisch. Zudem: Sie punktete vielleicht auch mit ihrer Parteiunabhängigkeit. Wer Bleek wählte, wählte jedenfalls einen erfahrenen Sozialdemokraten. Wer Lück wählte, wählte aber nicht direkt einen beinhart-verbissenen Christdemokraten. Sondern jemanden, jünger und charmant, die signalisierte, für alles und alle offen zu sein.

Die Bürger der Stadt waren mit Ihrer Entscheidung mutig. Siehe haben gewählt, was noch niemals zuvor möglich war in Wermelskirchen, andernorts aber durchaus als dem entwickelten Zivilisationsprozess entsprechend gewertet wird, in Köln beispielsweise, in Bonn, Kiel, anderswo: die (Ober-) Bürgermeisterin. In Großstädten möglich, in Kleinstädten eher vollkommen ungewöhnlich. Zum ersten mal haben die Wählerinnen und Wähler der Stadt eine Bürgermeisterin gewählt. Diese Entscheidung war überraschend. Aber vielleicht war es auch eine kluge Entscheidung. Ich persönlich verbinde mit dieser Entscheidung jedenfalls die Hoffnung, daß sich mit einer Frau an der Spitze vielleicht der Umgangston doch ändert, der bislang allzu oft derb und beleidigend war und die Grenze zur Schmähung mitunter überschritten hatte. Ich setze auch darauf, daß die Ankündigung, für alle Seiten offen zu sein, nicht alsbald im Alltagstrubel des Rathauses untergeht, sonder länger gültig bleibt. Ich setze also auf Dialog.

Natürlich ist für einen Politiker wie Rainer Bleek schmerzlich, die Früchte seiner Arbeit nicht mehr als Bürgermeister ernten zu können. Andererseits ist der Wahlsieg von Marion Lück keine persönliche Niederlage von Rainer Bleek. Ablesen kann man das an seinen Stimmenanteilen. Die liegen weit über denen seiner Partei. Einerlei: Rainer Bleek ist durch eine glückliche Fügung ins Amt gekommen, hat sich dort bewährt, die meisten seiner Ziele durchgesetzt oder auf den Weg gebracht, und wird nun wegen einer ungünstigeren Konstellation sein Amt im November verlassen. So geht Demokratie.

*Randbemerkungen

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.