Zwei bis drei Kinder in jeder Schulklasse

Sexualisierte Gewalt an Kindern

Stellungnahme des Landesverbandes autonomer Frauen-Notrufe NRW e.V. zur Debatte aktueller Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder

Burscheid | Beratungsstellen, Kinderschutz- und Opferschutzorganisationen haben bereits seit den 90er Jahren auf die Herstellung und Verbreitung von Bildern und Filmaufnahmen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hingewiesen, wie die Frauenberatung Frauen-Zimmer e.V. in Burscheid, die Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt im Rheinisch-Bergischen Kreis mitteilt. Damals war von Einzelfällen die Rede, gesellschaftlich war das Thema kaum bekannt und die Strafverfolgung schwierig.

Den Beratungsstellen wurde dagegen häufig Übertreibung und Verallgemeinerung vorgeworfen, nicht selten auch die Glaubwürdigkeit der Betroffenen in Frage gestellt. Digitale Gewalt in ihren vielfältigen Ausprägungen hat das Problem der sexualisierten Gewalt erheblich verschärft. Die Einrichtung der Stabsstelle zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornografie beim Innenministerium des Landes NRW zeigt, dass vermehrter Einsatz von Personal und Technik zur Aufdeckung von Fällen führt, die ansonsten nicht erkannt worden wären!

Mediale Skandalisierung von spektakulären Fällen hat häufig keinen Bezug zu den fachlichen Diskursen und verläuft oftmals nach ähnlichen Mustern: es geht um die Erhöhung von Strafmaßen, das Versagen von Behörden und die Sprach- und Fassungslosigkeit angesichts der aufgedeckten Taten; unter Handlungsdruck werden Gesetzesvorlagen erarbeitet oder politische Programme umgesetzt. Um sexualisierter Gewalt zu begegnen, braucht es jedoch differenzierte fachliche Analysen und Expertisen, um ein multiprofessionelles Vorgehen zu ermöglichen. 

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein gesamtgesellschaftliches und strukturelles Problem mit immensen Folgen. Die Erfahrung von körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt beeinflusst Bildungschancen, die Gesundheit und die Lebensqualität einer Vielzahl junger Menschen. Jeder 8. Erwachsene hat Studien zufolge in seiner Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt. Die WHO geht in Deutschland von einer Millionen Kindern aus, die betroffen sind. In jeder Schulklasse gibt es demnach zwei bis drei Kinder, die sexualisierte Gewalt erleben oder erlebt haben. Sexualisierte Gewalt ist vielfältig und die Täter*innen sind den Kindern in ca. 75 Prozent der Fälle bekannt. 

Es gibt organisierte Strukturen, es gibt aber leider auch den großen Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder in Familien, im sozialen Nahraum und in institutionellen Kontexten. Das ist schwer auszuhalten und es wird leicht ausgeblendet, da es den Alltag bedrohlich macht. Sexualisierte Gewalt auf gesellschaftliche Randbereiche zu fokussieren und in Kontexte einzuordnen, die mit dem normalen Leben nichts zu tun haben, schafft Distanz und reproduziert stereotype Vorurteile, die der Realität betroffener Kinder nicht gerecht werden. Und es führt leider auch dazu, dass Kindern Hilfe erschwert wird. 

Kinder – wie es teilweise in den aktuellen Debatten wieder anklingt – vor Fremden zu warnen, die etwas Unaussprechliches mit ihnen vorhaben, verängstigt und lässt diejenigen verstummen, die den Missbrauch erleben. Kinder brauchen kindgerechte Informationen über sexualisierte Gewalt, die Hilfe vermitteln, statt diffuse Ängste zu produzieren. Kinderschutz braucht nicht nur Strafverfolgung, sondern systematische Prävention und Intervention. Dies setzt eine personell, technisch und inhaltlich gut ausgestattete Strafverfolgung voraus. Außerdem muss die Hilfestruktur ausreichend finanziert, eine systematische und flächendeckende Prävention an Schulen, Kindergärten und anderen Institutionen, installiert werden. Erforderlich ist außerdem u.a. die strukturelle Absicherung eines medizinischen Kinderschutzes, einschließlich der Diagnostik und Beweissicherung bei Misshandlung und sexualisierter Gewalt. Notwendig ist die regelmäßige Forschung zum Thema sexualisierte Gewalt sowie Evaluierung von Kinderschutz- und Opferschutzmaßnahmen

Angesichts der Dimensionen sexualisierter Gewalt, sind die Maßnahmen noch zu wenig systematisch und verpflichtend, zu punktuell, zu abhängig vom Engagement weniger Opfer- und Kinderschutzorganisationen und von immer wieder neu zu beantragenden Projektförderungen. Wir brauchen eine ständige Aufmerksamkeit und ein gesamtgesellschaftliches Vorgehen, um sexualisierter Gewalt wirksam zu begegnen.

Die Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt im Rheinisch-Bergischen Kreis ist die Beratungsstelle Frauen-Zimmer e.V. Burscheid. Sie ist Mitglied im Dachverband autonomer Frauen-Notrufe NRW e.V. 

www.frauennotrufe-nrw.de

www.frauenberatung-burscheid.de

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