Mehr als alles

Ein Wort zum Montag, dem 22. Juni 2020

VON CORNELIA SENG

„Die Partei war eben alles“, sagte der Organist, der gern erzählt, dass er noch vor der Staatsgründung der DDR geboren wurde. „Dabei haben wir nur um Beratung zur Erhaltung der Kirche gebeten, nicht um Geld. Aber daran hatten sie kein Interesse. Als Kirche waren wir in der DDR nicht wichtig. Die ‚Partei’ war eben alles“, wiederholt er.

Staatstragende Ideologien, seien sie sozialistisch oder nationalistisch – meist von „starken“ Männern vertreten, wollen in der Regel „alles“ sein für ihre Bürger und Bürgerinnen. Der Einzelne hat sich unterzuordnen, alles läuft „gleichgeschaltet“. Die Würde des Menschen kommt erst an zweiter Stelle.

Im Gottesdienst hier im südlichen Brandenburg wird „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ gesungen als Teil der Liturgie. Ich kenne und liebe das kurze Lied seit meiner Kindheit. Für mich war es immer eine Art Widerstandslied: „Allein Gott!“. Sonst nichts und niemand!

Ich habe es gegen die patriarchalischen gesellschaftlichen Strukturen der 60er Jahre gesungen und als junges Mädchen endlich Hosen angezogen. Heute singe ich es gegen eine Ideologie, die will, dass man sich „deutsch“ fühlen soll , – was immer das heißen mag. Sie will, dass wir uns damit aus- und abgrenzen gegen andere Menschen in der Weltgemeinschaft.

„Es muss doch mehr als alles geben“, hat die Theologin Dorothee Sölle ihr Buch über die Gottesfrage genannt. Der Gott, der „mehr als alles ist“, will meine Freiheit. So habe ich es in der hebräisch-christlichen Tradition gelernt. Er hat sein Volk Israel damals aus der Sklaverei geführt. Mich hat er im Glauben an Jesus in die Freiheit gestellt.

Im Martin-Luther-King-College in der Nähe von Atlanta werden die Studenten entlassen mit dem Spruch: „Frag nicht, was die Welt braucht. Geh raus und sei ein lebendiger Mensch! Denn was die Welt braucht, sind lebendige, freie Menschen!“

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1)

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