6889 Kilometer

VON WOLFGANG HORN

Minneapolis ist hierzulande nur ganz wenigen bekannt, weil das ehemalige Siedlungsland der Dakota doch immerhin 6889 Kilometer vom Siedlungsland derer zu Berg entfernt ist. In Luftlinie gemessen. Verkehrstechnisch dürfte der eine oder andere Tausender an Kilometern vielleicht noch hinzukommen. Minneapolis ist mithin weit, weit weg, hat nicht das Allermindeste mit uns hier zu tun, keine Parallele, keine Verbindung, kein logischer Zusammenhang. Einerseits.

Andererseits befindet sich Minneapolis nur ein paar Fußbreit entfernt von Buchholzen, von Sellscheid, ein paar Schritte weg von Neuenhaus, ganz nah an Dhünn, Tente, Pohlhausen. Dabringhausen liegt fast auf der Grenze nach Minneapolis, auch das Eifgen oder Grunewaldt. In der globalisierten Welt der Zeitgleichheit, in der digital beschleunigten Kommunikation der Atemlosigkeit zugleich auf allen Kontinenten ist nicht die Frage, ob etwas „dort“ geschieht, drüben, tausende Kilometer entfernt. Es geschieht zum gleichen Zeitpunkt hier, was soeben 6889 Kilometer abseits von uns für Aufruhr gesorgt hat und noch sorgt. Von einer rassistischen Tat, mit der in Minneapolis der Schwarze George Floyd von einem im Amt befindlichen weißen Polizisten in acht Minuten und 46 Sekunden zu Tode gebracht wird, erfahren wir hier, als ob das Verbrechen in Emminghausen stattgefunden hätte.

Aber so ist es ja gottlob nicht. In der heilen Welt des Bergischen, am braven Nordrand des Rheinisch-Bergischen Kreises, eingemauert zwischen Bergisch Born und Burscheid ist ein rassistischer Mord nicht ansatzweise denkbar. Vorstellbar in den USA, vor allem dort. Weil der Rassismus virulent geblieben ist in diesem Land, das einst Aphartheidsgesetzen folgte. Vorstellbar wegen der ungeheueren Verbreitung von Waffen. Vorstellbar wegen der gewaltigen sozialen Unterschiede und des fast völligen Fehlens einer funktionierenden Sozialwirtschft. Vorstellbar. Aber nur dort.

Wem sagt eigentlich der Name Oury Jalloh noch etwas? Wem die Namen Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk? Ist der Name Enver Şimşek noch bekannt? Abdurrahim Özüdoğru? Halit Yozgat? Walter Lübke? Jana Lange? Kevin Schwarze? Said Nessar El Hashemi? Vili Viorel Păun?

Namen allesamt, die man in Minneapolis nicht kennen wird. Namen von Menschen, die hier bei uns Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden sind in nur wenigen vergangenen Jahren, Opfer des NSU, Opfer des Brandanschlages in Solingen, Opfer der Attentate in Halle und Hanau.

Rassismus schert sich nicht um die Distanzen der Tatorte. Rassismus wütet dort, wo die Würde des Menschen nicht geachtet wird. Wo man Unterschiede macht wegen der Hautfarbe oder der Haare, wegen des Wuchses, wegen der Religion oder Herkunft, der Sprache, der sozialen Erfahrungen. Alle Menschen sind an Würde gleich. Niemand steht über oder unter seinem Nächsten. Alle Menschen sind gottgleich.

Niemand kann schöner sein, edler, menschlicher als ein Inuit; niemand graziler oder attraktiver als eine Mongolin; noch nie jemals hat ein anderer Mensch einen Mexicaner an Güte übertroffen; die Frauen in der Republik Komi zählen zu den anmutigsten Bewohnerinnen auf Erde. Die Würde des Menschen ist unteilbar. Unteilbar. Allen zugehörig. Wer Menschen einteilt, segregiert, von anderen Menschen abspaltet, gleich aus welchem Motiv heraus, vergeht sich an der Würde des Menschen. Die Menschenwürde ist ein universelles Menschenrecht. Die Menschenwürde macht einen einzelnen Menschen zum Menschen und damit alle Menschen zu Menschen. Und das ist nicht einmal verhandelbar. 

Minneapolis ist so nahe.

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