Neulich an der Corona-Front

Ich arbeite in einem Wohnhaus für Menschen mit einer geistigen Behinderung.

Unsere Bewohner haben, soweit es ihnen möglich war, bisher am Leben in unserer Stadt teilgenommen. Etwa an den Angeboten der Musikschule, dem Strickkreis, der sich dienstags bei Everzberg in Tente getroffen hat, oder einfach, indem sie durch die Stadt geschlendert sind.

Als im Dezember die Meldungen aus China über ein neues, bis dahin unbekanntes Virus und eine neue Lungenerkrankung kamen, schien es weit weg. Doch sehr schnell wurde klar, es ist nicht weit weg und erreicht auch uns. Selbst als die ersten Fälle in Deutschland auftraten, schien es, als ginge uns dies, hier in Wermelskirchen, nur am Rande etwas an. Wann genau dann alles kippte, weiß ich nicht.

Seit Anfang März ging es dann in den Krisenmodus über. Die Epidemie war zur Pandemie geworden und breitete sich weltweit aus. Zunächst ging es moderat in den Krisenmodus, wir hielten unsere Bewohner an, sich regelmäßig die Hände zu waschen, da zurzeit ein gefährliches Virus da sei. Schon zu dem Zeitpunkt zeigte sich die Schwierigkeit, unseren Bewohnern, Menschen mit einer geistigen Behinderung, zu erklären, was ein Virus ist. Geschweige denn, warum ausgerechnet dieses Virus so gefährlich ist. Noch schwieriger war und ist, unseren Bewohner zu vermitteln, dass die „soziale Distanz“, das Abstand halten zu anderen Menschen, das Gebot der Stunde ist. Es ist bei vielen Bewohnern schlicht nicht möglich. Spätestens bei der Pflege kann die gebotene Distanz nicht gewahrt werden.

Was Schutzkleidung angeht, ist es schlecht bestellt. Ein minimaler Vorrat war vorhanden und konnte durch Initiative einer Kollegin aufgestockt werden. Hier hoffen wir, dass das Land die Einrichtungen der „besonderen Lebensform“ nicht vergisst.  

Plötzlich ging alles ganzschnell. Am Wochenende 14/15. März kam der Erlass des NRW-Ministeriums für Gesundheit und Soziales den Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen zu beschränken. Einige Tage später kam dann ein Erlass zur Schließung aller Werkstätten für Menschen mit einer Behinderung. So dass seit dem 19. März alle Bewohner im Wohnhaus sind. 36 Bewohner mit einer geistigen Behinderung, die schlagartig ihren gewohnten, strukturierten Alltag verloren haben. Eine für den einen oder anderen Bewohner schon jetzt schwierige Situation.

Hinzu kam die Vorbereitung auf eine mögliche Ausgangsperre bzw. Quarantäne. Hier zeigte sich bei der Wohngruppe, die ich betreue, wie unterschiedlich die Bewohner die Situation wahrnehmen. Eine Bewohnerin reagierte bei dem Gespräch mit Ohren zuhalten, „Ich will das nicht hören“ und Beißen in ihre Hand. Eine andere mit weinen und schimpfen, da sie nächsten Mittwoch wie gewohnt zur Sparkasse gehen wollte. – Eine Situation, die meine Kollegen und ich versuchen, bestmöglich aufzufangen. – Ja, unsere Bewohner erfassen auf sehr unterschiedlicher Weise die außergewöhnliche Situation. Eine Herausforderung, die mit der Dauer der Pandemie sicherlich nicht geringer wird.

Abends hatte ich via WhatsApp Kontakt mit einigen Kollegen aus Hamburg. Während des Austauschs mit ihnen wurde mir nochmals bewusst, welche hohe Verantwortung wir in der Eingliederungshilfe, nach neuer Gesetzeslage heißt es jetzt „besondere Wohnformen“, in der Pflege haben. Und, wenn ich dann bedenke, dass meine Kollegen in Hamburg schon beim Grundgehalt satte 1300 € weniger verdienen als ich, wird es mir einfach nur schlecht. Könnte ich ……

Heute musste ich die neuste Verordnung des Ministeriums nach meinem freien Tag zur Kenntnis nehmen. Ein absolutes Besuchsverbot in Einrichtungen der Eingliederungshilfe/ besondere Wohnformen. Sicherlich sinnvoll; aber damit verbunden ist, dass jeder Bewohner, der von seinen Angehörigen z. B. für ein Wochenende geholt wird, anschließend in einer 14tägigen Quarantäne auf seinem Zimmer bleiben muss. Wie dies umzusetzen ist, wurde nicht erläutert. – Dies wäre auch aus meiner Sicht kaum umsetzbar.

An anderer Stelle habe ich, Bezug nehmend auf die Dankeswelle an alle im sozialen Bereich Tätigen, in den sozialen Medien formuliert:

Für das “Danke” können sich alle in der Pflege/Gesundheitssystem/sozialen Bereich Tätigen nichts kaufen, auch wenn es gut tut, ein Danke zu hören. Nach der Krise muss unsere Gesellschaft die Frage beantworten, ob sie bereit ist, für diese absolut unverzichtbare Arbeit auch einen fairen Preis zu zahlen, der zu fairen Löhnen führt. – Und, unsere Gesellschaft wird die Frage beantworten müssen, ob sie es weiterhin hinnehmen will, dass das Gesundheitssystem gewinnmaximiert ist. Dass die Produktion von Medizinprodukten/ pharmazeutischen Produkte in Billiglohnländer ausgelagert wird. Dass Pharmakonzerne Mondpreise für ihre Produkte nehmen dürfen.- Ich denke all dies ist nicht hinnehmbar.

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