„Gegen die …“

VON WOLFGANG HORN

Gestern hat der Bundespräsident seine Weihnachtsansprache für dieses Jahr gehalten. Weit vorne im Text dieser Rede stellt Frank-Walter Steinmeier die rhetorische Frage: Wie wird aus Gegensätzen Zusammenhalt?  Es geht um das Miteinander in einer sich polarisierenden Gesellschaft. 

„Stehen wir genügend beieinander und fest zueinander?“ So fragt der Bundespräsident und gibt zugleich auch einen ersten Teil der Antwort: „Die Antwort, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die geben auch Sie. Sie stehen auf und halten dagegen, wenn im Bus Schwächere angepöbelt werden; wenn jemand, der anders aussieht, beleidigt wird; wenn auf dem Schulhof, in der Kneipe rassistische Sprüche fallen.

Sie haben Ihre Stimme im Netz und auch in den Sozialen Medien. Sie entscheiden, ob die krassesten und lautesten Parolen mit immer neuen Klicks belohnt werden oder ob Sie auf Fakten, Vernunft und bessere Argumente setzen.

Sie packen an: ob in der Nachbarschaft oder im Verein, ob im Ehrenamt oder im Hauptamt. Auch heute Abend wieder: Tausende, Zehntausende auf den Polizeiwachen, in Krankenhäusern oder in Pflegeheimen.“ 

Uns alle verbinde viel, so der Präsident, mehr jedenfalls, als uns trenne. „Wir alle – wir alle sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Mit gleichen Rechten und Pflichten. Bürger erster oder zweiter Klasse gibt es nicht.“ Trotz aller hitziger Gespräche, trotz allen politischen Streits: Dem Bundespräsidenten geht es um Respekt, Versöhnung und Zusammenhalt. „Was machen wir jetzt mit all diesem Streit? Wie wird aus Reibung wieder Respekt? Wie wird aus Dauerempörung eine ordentliche Streitkultur? Wie wird aus Gegensätzen Zusammenhalt?“

Zuversicht, Vertrauen in die Stärke der Demokratie, das kennzeichnet die Weihnachtsanprache des Bundespräsidenten. Als Bild wählt er die massive Holztüre in der Synagoge in Halle, die der rechtsextremistische Terrorist vor wenigen Wochen nicht überwinden konnte. „Eine mächtige, dicke Tür aus Holz und Eisen. Zwanzig Schüsse hat sie abbekommen. Zerborstenes Holz und Reste von Blei in den Einschusslöchern sind heute zu sehen.“ 

Diese Eingangstüre zur Synagoge stehe für uns, sei ein Bild für die Stärke und die Wehrhaftigkeit der Demokratie unseres Landes. Wenn wir alle unsere Zuversicht und Tatkraft, unsere Vernunft, unseren Anstand und unsere Solidarität als selbstbewußte Bürgerinnen und Bürger einbringen, sei ihm um das Land und die Gesellschaft nicht bange.

Eine Weihnachtsansprache. Eine Mahnung. Für Zusammenhalt, für Miteinander, für Respekt. Bei aller Verschiedenheit politischer oder gesellschaftlicher Ansichten, bei aller Unterschiedlichkeit in religiöser oder kultureller Hinsicht. „Bürger erster oder zweiter Klasse gibt es nicht.“

Wie man einen derart eindeutigen Text mit nur zwei kleinen Wörtern in sein glattes Gegenteil verkehren kann, das zeigt heute ein Mitglied des Wermelskirchener Stadtrates. Dem Bundespräsidenten geht es um Respekt und Zusammenhalt. Dem Wermelskirchener Politiker geht es um Spaltung. „Derzeit braucht die Demokratie vor allem uns.“ Diesem Zitat aus der Rede Steinmeiers läßt der Politiker einen infamen Satz folgen: „Ja, da hat er recht der Herr Bundespräsident: Die Demokratie braucht uns gegen die…“ Gegen die. Gegen Die. Wir und Die. Die guten und die Bösen. Ein derart simples Weltbild sollte man bei einem erfahrenen Politiker einer zum demokratischen Spektrum gehörenden Partei nicht annehmen. 

Mit allen. Das sollten wir dem „Gegen die …“ entgegensetzen. Mit allen für die Sicherung der Demokratie eintreten. Mit allen sprechen, die gleicher Meinung sind, mit allen auch, die andere Auffassungen vertreten. Mit allen den Zusammenhalt der Gesellschaft sichern, das Gemeinwohl. Respekt aufbringen für alle Menschen und Respekt einfordern für sie. Gemeinsam. Achtsam sein gegen Ausgrenzung. Wie sagte der Bundespräsident gestern? „Bürger erster oder zweiter Klasse gibt es nicht.“

Nachtrag: „Gegen die …“ ist nur die Twitter-Version. In der Facebook-Version werden „die“ kenntlicher gemacht: „Die“ sind „die Habecks, Gretas und Grönemeyers“, der „geplante Systemwechsel der links-grünen Community“, der „Mainstream“, der „Zeitgeist“.
Die Höckes und Storchs, vom gewieften Autor eingeschoben, gehören weder zum Systemwechsel der links-grünen Community, noch zum Mainstream. Sie sind bloß Camouflage. Billigste. Sozusagen die rote Pappnase auf dem Facebook-Posting.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.