Unterscheide: Meinung und Wahrheit!

Wort zum Montag von Cornelia Seng

Ein Abend im „Café International“: das Gespräch kommt auf Schule und Schüler. Ida klagt über unverschämte, freche Schülerinnen, die auch vor beleidigenden Äußerungen nicht zurückschrecken. Ich nicke verständnisvoll.

Da sagt Housam Darwish, der gerade zugewanderte Philosoph aus Syrien: „Aber das ist nur ihre Meinung, das ist nicht die Wahrheit!“ Ida und ich verstehen das sofort: Natürlich! Dieser Gedanke entlastet. Es relativiert das, was andere von mir denken oder sagen. Auch Beleidigungen, „es sind ja nur ihre Meinungen“.

Der Oktober hat mit dem Losungswort aus Psalm 56,12 begonnen: „Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was können mir Menschen tun?“ Was Gott von uns denkt, ist letztlich wichtig, nicht das Gerede der Menschen. Im Johannesevangelium (14,6) sagt Jesus von sich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Anderes verblasst neben ihm.

Unterscheide: Meinungen von Menschen und die Wahrheit! Heute ist viel von „Hate Speech“ die Rede: Beschimpfungen und Beleidigungen persönlicher Art, vor allem im Internet. Menschen werden angegriffen, weil sie für einen würdigen Umgang mit Flüchtlingen einstehen zum Beispiel.

Wir waren kaum einen Monat hier in Kassel, da wurde im Juni dieses Jahres der hessische Regierungspräsident Walter Lübcke aus nächster Nähe erschossen. Walter Lübcke war Mitglied der CDU, ein hoch integrer und geachteter Mann. Sehr bald wurde aufgedeckt, dass der Täter von rechtsradikaler Gesinnung geleitet war. Dass Lübcke angesichts der Zuwanderung von Flüchtlingen 2015 für die christlichen Grundwerte einstand, das reichte als Motiv für die Tat. Mir kam damals unwillkürlich der Satz von A. Gauland in den Sinn, mit dem die AfD die Oppositionsarbeit 2017 im Bundestag begann, „wir werden sie jagen“. Mit „jagen“ verbinde ich „Hetzjagd“ und „abschießen“. Damals habe ich nur den Kopf geschüttelt über diesen Satz. Wie mag der Mörder von Walter Lübcke ihn gehört haben?

Wer Meinung und Wahrheit unterscheiden kann, wird unempfindlich gegenüber Beschimpfungen und Beleidigungen und der Hass verfehlt sein Ziel. Denn der funktioniert nur, wenn wir uns kränken lassen. Walter Lübcke hat trotz vieler Schmähungen weiter seine Arbeit gelassen verrichtet. Jetzt hat sein Tod nicht nur in Kassel die Menschen aufgeschreckt.

Denn wer Meinung und Wahrheit unterscheiden kann, der wird auch kraftvoll Beleidigungen und Schmähungen widerstehen mit den Mitteln des Rechtsstaates oder der Schulordnung, in Prozessen bei Gericht und Disziplinarkonferenzen in der Schule. Und in aller Öffentlichkeit wenn nötig.

Martin Luther King nannte das „gewaltlosen Widerstand“. Er kommt aus dem Wissen um Wahrheit jenseits der Meinungen. Vielleicht sind die bequemen Jahre wirklich vorbei, wie manche meinen. Die Jahre, wo Demokratie, der Respekt vor der Gleichheit aller Menschen und der Achtung der Menschenwürde, selbstverständlich waren. Doch deshalb stecken wir den Kopf nicht in den Sand. Die Unterscheidung von „Meinung und Wahrheit“ gibt Stärke. Denn: „Was können mir Menschen tun?“ Was Gott von mir hält, ist das was zählt!

Cornelia Seng war vor ihrer Pensionierung Pfarrerin und Lehrerin in Wermelskirchen und hat die Initiative für Flüchtlinge und Asylsuchende “Willkommen in Wermelskirchen” ins Leben gerufen. Zudem hat sie mit Ihrem Mann sechzehn Jahre lang das Kirchenkino im Film-Eck verantwortet. Cornelia Seng hat also ihre Spuren in unserer Heimatstadt hinterlassen. Aus ihrer neuen (und alten) Heimat, Kassel, wird sie uns, ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen, Freunde und Menschen, denen sie verbunden ist sowie die Leser des Forum Wermelskirchen regelmäßig mit einem Wort zum Montag erfreuen. Cornelia Seng bleibt Wermelskirchen verbunden.

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