„Bald zwei Jahre in Wermelskirchen“

Den nachfolgenden Beitrag von Ashfaq Javed entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der Website der Wermelskirchener Flüchtlingsinitiative „Willkommen in Wermelskirchen“:

Bald zwei Jahre in Wermelskirchen • Ashfaq Javed aus Pakistan berichtet – Juni 2018

Am 4. August 2016 bin ich als Flüchtling in Bielefeld registriert worden, zwei Wochen musste ich in Bielefeld bleiben. Von Bielefeld bin ich nach Schöppingen im Kreis Borken gekommen. Und von da aus schickte man mich nach Wermelskirchen, der 26. Oktober 2016 war mein erster Tag in Wermelskirchen.

Obwohl das Flüchtlingslager kein guter Ort zum Leben ist, war es doch wichtig und gut für mich, dort andere Flüchtlinge aus Pakistan zu treffen. Denn das bedeutete, dass ich mich mit ihnen in Urdu oder Punjab verständigen konnte, den Sprachen meiner Heimat.

A. J. mit Freunden in seiner Heimat Pakistan

Das war am Anfang eine große Hilfe, um mein Elend und mein Trauma wenigstens vorübergehend vergessen zu können. Im Camp haben sich alle Menschen Sorgen gemacht, wohin sie wohl verlegt würden. Jeder wollte in eine große Stadt gehen, um bessere Chancen zu haben. Aber ich habe Gott vertraut. Er hat schon immer meinen Weg bestimmt und das Richtige für mein Leben ausgesucht, und er hat mich nie enttäuscht.

Als ich dann in Wermelskirchen ankam, hatte ich gleich furchtbares Heimweh, und ich habe mich sehr einsam gefühlt. Das war so furchtbar, dass ich dachte, ich müsste jetzt sterben. Es war eine unglaubliche Situation, so etwas hatte ich noch nie erlebt bisher.

Das Wetter war fuchtbar, ständig regnete es, kaum mehr Blätter an den Bäumen, graue Häuser, grauer Himmel. Alles war fremd und schien nur meinen Tod zu beschleunigen.

Ich konnte nicht schlafen und hatte Angst in den Waschraum zu gehen. Vor Mitternacht habe ich nie Schlaf finden können.

An einem Morgen nach einem Spaziergang durch die Straßen von Wermelskirchen musste ich ganz furchtbar weinen, weil ich dachte, dass ich alles verloren hatte, meine Familie, meine Verwandten, Freunde, mein Heimatland. Ich habe zu Gott gesagt: „Warum willst Du, dass ich sterbe? Wenn Du willst, dass ich sterbe, lass es bald sein. Ich halte diese schreckliche Situation nicht länger aus.“ Ich habe in dem Moment keine Antwort bekommen, die Antwort kam später.

A.J. mit Weihbischof Ansgar Puff in Köln

Nach einigen Tagen erzählte mir jemand vom Sprachkurs bei der Kirche. Ich ging hin und traf dort glücklicherweise Frau Cornelia Seng und sie hat mich einer Dame, die für den Deutschkurs verantwortlich ist, vorgestellt.

Ich habe mit Frau Seng über meine persönliche Situation gesprochen und sie gebeten, mir etwas zu tun zu geben, damit ich beschäftigt bin. Sie hat mich zum Abendgebet eingeladen und hat mich im Café International Frau Claudia Stracke vorgestellt. Ich habe dann mein erstes Praktikum in der Jugendarbeit mit Frau Stracke gemacht. Das war eine großartige Gelegenheit, von den anderen Leuten, die das Café International besuchten, zu lernen. Auch von den Leuten im Team des Cafés und anderen Leuten aus Wermelskirchen, die aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen und verschiedenen Gemeinden und Konfessionen kommen, habe ich gelernt.

Wer sich bei „Willkommen in Wermelskirchen“ engagiert, hilft allen Flüchtlingen, völlig unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer Einstellung. Das war fremd für mich und schwer zu verstehen und noch schwerer zu akzeptieren.

Ich komme aus einem muslimischen Land. In Pakistan werden Christen verfolgt, diskriminiert, und sie haben ein miserables Leben. Von vielen werden sie regelrecht gehasst.

Hier in Wermelskirchen habe ich mir die Frage gestellt: Wie sollen wir dem Hass begegnen? Auch mit Hass? Oder mit Liebe? Dann bin ich zu der Antwort gekommen, dass Liebe stärker ist als der Hass. Obwohl es immer eine Herausforderung ist, Hass mit Liebe zu begegnen. Und wir haben das meistens versäumt. Wie ist das möglich, mit Liebe auf Hass zu reagieren?

A.J. mit Freunden aus Wermelskirchen bei einer Radtour

Ich habe in meinem Land immer versucht in Frieden und Harmonie zu leben. Aber als Minderheit ist das schwer, die Gesellschaft zu beeinflussen im Hinblick auf die Menschenrechte.

Hier in Wermelskirchen hilft die Mehrheit der Bevölkerung den Flüchtlingen. Ich habe das am Anfang überhaupt nicht verstanden. Ich dachte, sie sollten nicht allen helfen. Ich schäme mich jetzt dafür, aber es ist die Wahrheit.

Es wäre gut, wenn muslimische Länder sich daran ein Beispiel nehmen würden, wenn es möglich wäre.

Ich bin den Menschen in Wermelskirchen echt dankbar, dass sie mich erinnert haben an das Konzept der Liebe und mich ermutigt haben, die Herausforderung der Liebe anzunehmen.

Für mich ist „Willkommen in Wermelskirchen“ wie eine große Familie, man kann richtig fühlen und erleben, dass man willkommen ist. Seit zwanzig Monaten bin ich jetzt hier. Viele Menschen hier sind sehr engagiert und arbeiten daran mit, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Wann immer ich Hilfe brauchte, habe ich sie gefunden. Ob es Begleitung zu meinem Interview nach Bielefeld war oder Hilfe, eine Wohnung zu finden, Möbel oder Unterstützung im Deutschkurs. Immer ist jemand da, Dich willkommen zu heißen.

Vor ein paar Tagen brauchte ich eine neue Matratze. Ich selber war im Deutschkurs. Aber ein älterer Mann vom Möbellager kam vorbei und hat eine Matratze für mich ins Hause gebracht.

Ich habe wirklich das Gefühl, in einer Familie zu leben, wo wir füreinander einstehen. Jeder wird mit Fürsorge und Liebe bedacht wie in einer Familie. Und wo die Familie ist, da bin ich zu Hause. Kein Zuhause ohne Liebe.

„Willkommen in Wermelskirchen“ is pure Love for me.

Ashfaq Javed

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Marga Ottersbach-Hilger
    • 05.06.18, 8:02 Uhr

    *nur die Liebe zählt* – wunderbar, das zeichnet uns doch als Menschen aus!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.