Der städtische Neujahrsempfang soll, so Bürgermeister Rainer Bleek heute im Rathaus, belebt und auf Dauer wieder eine eigene „Traditionsveranstaltung“ der Stadt werden. So weit, so gut. Stand im vergangenen Jahr noch das „Ehrenamt“ im Mittelpunkt eines Programms, das die Besucher durch seine bloße Quantität, durch die Darstellung der enormen Fülle ehrenamtlicher Aktivitäten in Wermelskirchen doch arg forderte, so bildete die „Digitalisierung“ den Schwerpunkt des heutigen Empfangs.
Jörg Heynkes hielt einen fulminanten Vortrag über die Digitalisierung nahezu sämtlicher Lebensbereiche. Kaum jemand im Saal, der nicht Neues erfahren hat über die sehr nahe und die etwas weitere Zukunft. Es geht um Ernährung, um Energie, um Mobilität. Und betroffen sind wir alle, Bürger, Unternehmen, Staat, Kommunen, Parteien. Unser Leben wird sich radikal verändern, selbst wenn die eine oder andere Prognose schließlich doch noch einem anderen Zeitrahmen folgen sollte, als Heynkes ihn aufwies. Spannend, gewaltig, informativ, aufrüttelnd. So muß ein Vortrag sein. Keine Gelehrtenattidüde, keine Spezialsprache, bunt, locker, unmißverständlich, mutig. Jörg Heynkes, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer Wuppertal, ökologischer Unternehmer, nach eigener Zuschreibung ZukunftsMacher, weniger Visionär als jemand, der sich gut auskennt und dies allen zeigt. Im November hat Heynkes bereits bei der Digitalisierungswerkstatt der „Deutschen Telekom“ in Berlin einen Vortrag gehalten und vor zwei Tagen wurde er in das Netz gestellt. Wir veröffentlichen in Absprache mit Jörg Heynkes diesen Vortrag, weil er doch dem heute gehaltenen zumindest sehr ähnlich sein dürfte.
Das hätte schon ausgereicht, um die Ankündigung des Bürgermeisters Bleek Wirklichkeit werden zu lassen, daß die Stadt mit dem Neujahrsempfang einen „Blick über den Gartenzaun der Alltagspolitik“ hinaus ermöglichen wolle. Ein Vortrag mit Wucht, wie man ihn in Wermelskirchen gewiß noch nicht hat hören können, hat gewiß seinen eigenen Charme.
Aber man hat dem Charme der Vision nicht vertraut, sondern, vielleicht als Kontrapunkt, den Neujahrsempfang noch mit der Ehrung der Sportler des Jahres bereichert, vielleicht erden wollen.
Sympathisch, daß eine „Randsportart“, Judo nämlich, alle Wermelskirchener Sportler des Jahres entsendet. Frau Kathrin Seide wurde als Sportlerin des Jahres geehrt, der 17jährige Ben Musaeus vom JC Hückeswagen als Sportler des Jahres und die Frauen-Judokas JC Wermelskirchen als Mannschaft des Jahres. Aber: Wenn schon eine Sportart alle Preise abräumt, erst- und einmalig, dann, hätte ich erwartet, hätte der Verein, hätten die Vereine auch komplett bei der Feier erscheinen müssen. Stattdessen: Unübersehbar viele unbesetzte Stühle im Ratssaal. Zudem auch für den Digitalisierungsvortrag nicht das beste Zeichen, daß der Saal nicht komplett gefüllt war heute Vormittag. Hatte das vielleicht auch damit zu tun, daß es keinen Hinweis auf den Neujahrsempfang in der Presse zu lesen gab?
Der Charme des Neujahrsempfangs litt nicht nur unter der disparaten Programmgestaltung. Auch die Inszenierung ließ durchaus zu wünschen übrig. Wann hat es das einmal gegeben, daß zum Sportler des Jahres ein behinderter junger Mann gewählt worden ist? Ich behaupte, daß das noch nirgendwo geschehen ist. Ein Sportler mit Downsyndrom wird Sportler des Jahres. Das ist eine großartige Entscheidung. Hut ab vor den Verantwortlichen, denen dieser mutige Beschluß zu verdanken ist. Aber von Ehrung, Übergabe der Urkunde, von Blumen und Dankesworten konnte man nichts mitbekommen, weil das nicht in der Mitte der Bühne im Lichtkegel stattfand, sondern in der dunklen rechten Ecke der Bühne, versteckt hinter dem Rednerpult. Warum waren Dankesworte der Geehrten nicht vorgesehen? Warum beispielsweise hat man den Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes, der nur wenige Kilometer von Wermelskirchen entfernt lebt, nicht zu dieser vermutlich bundesweit einmaligen Ehrung eingeladen? Warum hat man den Verein nicht gebeten, ein kleines Demoprogramm des Judosports darzubringen, gelungene Würfe, interessante Haltegriffe, was weiß ich? Man muß diesen feinen Sport ehren. Aber man kann, man muß das leckerer tun, als es heute geschehen ist.
Ein Neujahrsempfang verdient die beste Inszenierung. Auch in Wermelskirchen gibt es Fachleute für Regie und Inszenierung. Das muß eine Verwaltung gar nicht können. Aber es hätte durchaus früher auffallen können, daß der zweite Teil, die Sportlerehrung, gegen die Wucht des ersten Teils allzusehr abfällt und zu sehr im Provinziellen verbleibt. Eigentlich verdienen die Sportler eine eigene Veranstaltung.
(© Fotos Neujahrsempfang 2018: Mike Galow)