„Greenpeace – Wie alles begann“. Von Jerry Rothwell (Arte, Sa 18.03.2017, 21.40-23.30)

Von Fritz Wolf

Einer der schönsten und treffendsten Sätze fällt so mittendrin und beiläufig: „Auf jeden Mystiker kommt mindestens ein Mechaniker“. Das sagt Bob Hunter, die charismatischste Figur unter den Greenpeace-Gründern. Die Geschichte der frühen Jahre der Umweltorganisation erzählt der britische Regisseur Jerry Rothwell. (Arte, Sa 18.03.2017, 21.40-23.30)

Heute ist Greenpeace eine der großen und politisch wirkmächtigsten Nicht-Regierungsorganisationen, mit weltweit 2,8 Millionen privater Spenderinnen und Spendern. In Deutschland gibt es rund 590.000 Fördermitglieder, die die Arbeit von Greenpeace finanziell unterstützen, und 105 Gruppen, in denen sich rund 4.000 Ehrenamtliche engagieren.

Angefangen hat es aber mit zwölf bärtigen jungen Männern, die sich 1971 in Vancouver zu einer abenteuerlichen Fahrt aufmachten. Eine bunt gemischte Crew aus Journalisten, Wissenschaftlern, Ökologen, Mystikern wie Mechanikern. Obwohl die meisten keinerlei seemännische Erfahrung hatten, wollten sie mit dem gecharterten schwachbrüstigen Fischkutter „Phyllis Cormack“, der dann in „Greenpeace“ umbenannt wurde, einen Atomtest in Alaska verhindern. Die Idee: Wenn sie nur nahe genug heranführen, würden die USA die Tests absagen. Die Aktion misslang, Sturm und die US-Marine vertrieben die Aktivisten, der Atomtest wurde, nach einer Verzögerung, doch durchgezogen. Doch die Aktion verschaffte den Aktivisten auch große öffentliche Aufmerksamkeit. Und als sie sich in einer weiteren Aktion mit ihren Schlauchbooten zwischen eine russische Walfängerflotte und eine Walherde schoben, um das Abschlachten zu verhindern, erfuhr die ganze Welt davon in Bildern, die heute ikonischen Charakter haben.

Eine der charismatischen Führungsfiguren von Greenpeace war der kanadische Journalist Bob Hunter. Er wusste um die Macht der Bilder und prägte für die Organisation den Begriff der „mindbomb“. Man müsse sich mit aufsehenerregenden Szenen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit schieben. Man muss wissen: Damals, in den siebziger Jahren wurde in Kategorien des Kalten Krieges, nicht aber global gedacht. Ein solches globales Bewusstsein zu schaffen, das sah Bob Hunter als Hauptaufgabe der Organisation – und das hat sie zweifellos geschafft. Greenpeace markiert den Anfang der Umweltbewegung und, in der Verknüpfung von Umwelt- und Friedensbewegung auch den eines globalen Bewusstseins.

Der Regisseur lässt die Aktivisten von damals zu Wort kommen, konfrontiert die graubärtigen Männer mit ihren Aktionen, befragt sie über Motive, Erfahrungen, Geschichten. Er strukturiert die Geschichte in einzelnen Kapiteln. Das zweite etwa lautet „Lasst Worten Taten folgen“ – und erzählt etwa die Geschichte der Aktionen um das Robbenbabyschlachten in Neufundland. Das dritte Kapitel heißt: „Fürchtet den Erfolg“, auch dies programmatisch. Denn der Film läuft nicht einfach bloß den großen Aktionen hinterher. Er reflektiert auch, wie der große Erfolg die Aktivisten selbst verändert, wie sich zwischen den Alphatieren der Gründergruppe Machtkämpfe und Konflikte und zwischen Idealismus und Pragmatismus unterschiedliche politische Philosophien breitmachten. Am Ende des Films steht ein merkwürdiger und bedenkenswerter Satz: „Wenn wir darauf warten, dass die Sanftmütigen die Erde übernehmen, wird sie niemand übernehmen.“ Regisseur Jerry Rothwell versteht seinen Film denn auch als Aufforderung, sich dieser Spannung zwischen Idealismus und Individualismus auf der einen, Pragmatismus und medial-politischer Strategie auf der anderen bewusst zu werden. Man könne aus der Greenpeace-Geschichte lernen, dass man nicht nur individuell, sondern auch partnerschaftlich mit anderen agieren müsse.

Eine Szene illustriert dieses Spannungsverhältnis überdeutlich. In der Aktion gegen das Abschlachten von Robbenbabies wollte jedenfalls Bob Hunter nicht gegen die neufundländischen Fischer agieren. Er schloss mit ihnen einen politischen Kompromiss, die weißen Robbenfälle nicht wie geplant durch Verfärbung unverkäuflich zu machen. Er erreichte damit wiederum, dass einige Greenpeace-Aktivisten auf den Eisschollen dabei sein und das Massaker drehen durften – die Bilder haben damals die Welt schockiert und sie tun es noch heute.

Ein Lehrstück über Aktivismus und Politik, spannend erzählt, mit interessanten Protagonisten. Eingeschränkt ist der Lerneffekt des Film freilich ein wenig durch den Umstand, dass jede kritische Distanz entfällt. Es handelt sich im Grunde um einen Film von Greenpeace über Greenpeace. Der Ich-Erzähler des Films ist Bob Hunter, aus seinen Memoiren und Notizen ist der Text extrahiert. Und weil der Regisseur sich ausschließlich auf die Gründergeneration konzentriert, bezahlt er am Ende dafür mit einem nostalgischen Grundton und letztlich der retrograden Sehnsucht nach dem charismatischen Anführer.

www.wolfsiehtfern.de

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