Rede des Erste Beigeordneten, Stefan Görnert, auf dem Schweigemarsch am vergangenen Donnerstag
Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
1985 lebte ich als junger Mensch für ein halbes Jahr in einem Kibbuz in Israel. Bei einem meiner recht zahlreichen Aufenthalte in Jerusalem besuchte ich eines Tages den Herzlberg, Grabstätte des jüdischen ungarisch-österreichischen Schriftstellers und Journalisten Theodor Herzl und anderer für die Geschichte Israels bedeutender Persönlichkeiten. In einem damals noch kleinen Museum stand ich vor einer Glasvitrine, darin aufgeschlagen die Erstausgabe von 1896 des von Theodor Herzl geschriebenen Buchs „Der Judenstaat“. Dieses Buch hatte Herzl unter dem Eindruck zunehmender Pogrome gegen Juden in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts – vor allem in Osteuropa und Russland – geschrieben. Es wurde zu einem bedeutsamen Werk der zionistischen Bewegung, die eine Heimstätte für verfolgte Jüdinnen und Juden aus aller Welt nach einem Leben über Jahrtausende in der Diaspora im Land Zion suchte.
Dieses Buch in der Vitrine war in meiner Muttersprache Deutsch geschrieben, ich konnte also jedes einzelne Wort lesen. Für Besucher aus aller Welt gab es lediglich eine kurze Beschreibung in englischer Sprache.
Ich verließ den Herzlberg und kam nach nur wenigen Schritten nach Yad Vashem, der größten Holocaust-Gedenkstätte. Hier stand ich wieder vor einer Glasvitrine, darin aufgeschlagen ein Buch, ebenfalls geschrieben in meiner Muttersprache Deutsch, so dass ich auch hier jedes einzelne Wort lesen konnte. Dieses Mal waren es die Nürnberger Rassengesetze von 1935, die auch Grundlage für den Holocaust waren. Für Besucher aus aller Welt gab es wiederum nur eine kurze Beschreibung in englischer Sprache.
Diese größtmögliche Diskrepanz der Gefühle verdeutlicht mir seitdem die Verantwortung und Verpflichtung, die wir Deutsche heute für jüdisches Leben in Deutschland und weltweit haben!
Jedes Jahr gedenken wir am 9. November dem Reichspogrom und seiner Opfer von 1938, das als Beginn der Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden durch Deutsche und in deutschem Namen gilt – so auch heute. Daraus entstanden ist ein „Nie wieder“; aber dieses „Nie wieder“ ist gescheitert, denn dieses „Nie wieder“ hat sich am 7. Oktober wiederholt, als das größte Massaker an Juden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und es ist erschreckend, wie unverhohlen sich seitdem Antisemitismus auch in Deutschland wieder zeigt! Unsere Solidarität gehört allen jüdischen Mitbürgern sowie den Jüdinnen und Juden in aller Welt!
Mit dem Hissen der Flagge des Staates Israel hier vor dem Rathaus gedenkt die Stadt Wermelskirchen den Opfern des Terrorangriffs vom 7. Oktober, bekennt ihre Solidarität mit Israel und setzt ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus in jeder Form.
Denn Frieden mit und für Israel bedeutet gleichzeitig Frieden für die gesamte Region. Der Publizist Sascha Lobo hat es im Spiegel so formuliert: „Wenn die Hamas die Waffen niederlegt, herrscht Frieden. Wenn Israel die Waffen niederlegt, werden Juden ermordet und das Land existiert nicht mehr.“
Wir wünschen „Shalom alechem“ – Friede für alle.