Ein Wort zum Montag, dem 7. August 2023
VON CORNELIA SENG
Wenn wir beim Morgengebet im Kloster Jerichow Luthers Morgensegen sprachen, ließ Karl regelmäßig das Blatt sinken. Diese Worte kennt er in- und auswendig , “by heart” eben. Ich dagegen stolpere und bringe die Wörter durcheinander. Kommt nun das “allem” vor “Übel” oder doch schon vor “Schaden”? Und wie war das mit dem “heiligen Engel” und dem “bösen Feind”? Ich muss das Blatt zu Hilfe nehmen, um die Sätze zusammen mit den anderen im Rhythmus sprechen zu können. Eigentlich schade, denke ich.
Im Konfirmandenunterricht haben wir wenig auswendig gelernt, ich hatte schon einen “modernen” Konfirmandenunterricht. Später habe ich immer mal wieder versucht, mir Luthers Morgensegen einzuprägen. Aber bald habe ich wieder meine eigenen Worte genommen. Ist das wichtig, dass ich exakt diese alten Sätze von Luther auswendig kann? Diese etwa fünfhundert Jahre alten Worte? Auch mit meinen eigenen Worten bleibt der Inhalt derselbe: Ich danke Gott für die vergangene Nacht und bitte ihn um Bewahrung an diesem kommenden Tag. Spielt die Reihenfolge der Wörter eine Rolle? Karl dagegen kann sich in die alten Worte fallen lassen. Ein bisschen habe ich ihn beneidet.
Wie einfach und selbstverständlich das bei ihm klingt: “Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.” Leib und Seele werden gesondert erwähnt! Jetzt erst, wo ich alt werde, verstehe ich, wie wichtig der Körper ist und dass er eben manchmal nicht mehr selbstverständlich funktioniert. Und ist nicht der “heilige Engel” dasselbe wie die “guten Mächte” in Bonhoeffers bekanntem Gedicht? Mächte, die uns schützen und bergen?
Der “böse Feind” hat mich bisher wenig interessiert. Sollte ich mich mehr mit ihm befassen? Wie schnell gerät man unter menschenfeindliche Gedanken! Wie wehre ich mich dann gegen Sätze, die mit “Ja, aber … “ beginnen? Schweige ich oder riskiere ich den Konflikt? Widerstehe ich beherzt, wenn Witze auf Kosten von anderen gemacht werden? In der Schule habe ich Schimpfwörter wie “Du Jude” oder “Du Türke” nicht überhört und denjenigen Schüler zum Gespräch gebeten. Das hielt ich für meine Pflicht.
Ich mühe mich, Luthers Morgensegen wortwörtlich sprechen zu können. Und ärgere mich, wenn ich wieder ein Wort dazwischen vergessen habe. Bis ich mich selbstverständlich in die Worte fallen lassen kann wie Karl, brauche ich noch eine Weile. Vielleicht nächstes Jahr, wenn ich wieder in Jerichow sein sollte.
Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, dass dir all mein Tun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.” (Luthers Morgensegen)