KEIN PLATZ ZUM LEBEN

Ein Wort zum Montag, dem 27. Februar 2023

VON CORNELIA SENG

„Ich habe hier keinen Platz“, die alte Frau geht unruhig im Flur des Altenheims auf und ab. Immer wieder klagt sie, sie habe hier keinen Platz, obwohl wir fast genau vor ihrer Zimmertür stehen. Schließlich bricht sie in Tränen aus. – Wie kommt es dazu, dass Menschen in ihrem Leben nicht mehr zu Hause sind? 

In der Zeitung lese ich den Bericht von der engagierten Ukrainerin. Sie war schon in ihrer Heimat Deutschlehrerin und gibt hier Sprachkurse. In der Zeitung berichtet sie von ihrem Ergehen: „Wir haben alles zurückgelassen, unser ganzes bisheriges Leben. Wir hatten ein Zuhause, Verwandte und Freunde, Arbeitsstellen und Gewohnheiten, Spielplätze der Kindheit. Das haben wir alles verloren, unser ganzes bisheriges Leben“. – Wie können Menschen leben ohne Zuhause?

Weltweit sind die Flüchtlingszahlen wieder gestiegen. 13,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht, hat der UNHCR gezählt. Das ist ein Anstieg um 15%. Andere sind obdachlos im eigenen Land. Wie lebt man ohne festes Dach über dem Kopf? Ohne Zuhause? Ohne äußere Geborgenheit? Ohne Platz im Leben?

Jesus hat von sich gesagt: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“ (Mt 8,20). Er hat wohl ohne festen Wohnsitz gelebt. 

Jetzt hat die Passionszeit begonnen. Eine Zeit, in der wir den Leidensweg Jesu bedenken. Jesus, der wohnsitzlose Wanderprediger war nicht willkommen mit seiner Botschaft. Er hatte keinen Platz in dieser Welt. Er wurde verachtet, gemieden und am Ende gekreuzigt. Das ist der Gott, den die Christen anbeten. Von ihm sagen sie, er sei Gottes Sohn. Er ist kein Gott, den man sich selber aussuchen würde, den man sich „ausdenken“ kann. Er ist kein Gott, mit dem man Eindruck machen könnte. Aber er ist ein Gott nahe bei denen, die kein Zuhause haben im Leben. Er ist bei denen, die alles verloren haben. Er ist bei denen, die keinen Platz finden. 

In dieser Passionszeit will ich mir angewöhnen, die Obdachlosen, die Flüchtlinge, die ohne Platz im Leben mit anderen Augen zu sehen – mit  s e i n e n  Augen. 

Kreuz in der Seitenkapelle von Kloster Jerichow
Foto: Cornelia Seng

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