Am Meer und unter alten Bäumen

Ein Wort zum Montag, dem 16. Mai 2022

VON CORNELIA SENG

Jetzt waren wir mal wieder an der Ostsee. Viel Zeit habe ich damit verbracht, im Sand zu sitzen und auf das Meer zu schauen. Sonst nichts. Was fasziniert so am Blick auf das Meer? Die unendliche Weite? Nichts behindert den Blick, nichts ist im Weg. Wasser, soweit das Auge reicht. Bis zum Horizont. Ist es diese Grenzenlosigkeit, die so fasziniert? Die Schönheit der Natur?
Vor ein paar Jahren wurde ein “Baumwipfelpfad” auf Rügen eröffnet. Ein Naturerbe Zentrum. In halber Höhe der Bäume steige ich bis zum Turm. Der Wald ist maigrünen. Beim Blick in die alten Baumkronen überkommt mich Ehrfurcht. Ich bin ein Teil dieser wunderbaren Schöpfung, ich darf teilhaben an dieser majestätischen Schönheit! Wie heißt es in Psalm 104,24: “Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter”.

Das Meer und die Bäume, – sind sie Spuren Gottes? Deuten sie auf Gottes Schöpferkraft? Ich staune und – schweige. Andächtig.
Vor vielen Jahren berichtete eine alte Lehrerin, wie sie im Religionsunterricht mit dem aufkommenden sich naturwissenschaftlich gebenden Atheismus zu kämpfen hatte. Gegen die lautstarke Behauptung eines Schülers, es gebe keinen Gott, der alles geschaffen habe, sagte ein anderer leise in die Klasse: “Mach mal einen Baum”. Und alle schwiegen betroffen. Vor der Lebenskraft eines Baumes muss man einfach Respekt haben. Und vor der Kraft der Natur. Noch im hohen Alter erzählte die alte Lehrerin von dieser Unterrichtsstunde, so eindrücklich muss sie ihr gewesen sein.

“Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen seit der Schöpfung der Welt und wahrgenommen an seinen Werken”, schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Römer (1,20). – In diesen Tagen an der Ostsee fällt es mir leicht, das zu glauben.

Aber ich weiß, dass es auch das Andere gibt auf dieser Erdkugel: die leidende, gequälte Schöpfung. Menschen und Tiere, die Gewalt leiden. Küsten, die in Plastikmüll ersticken. Fische, die ölverschmiert sterben. Wenige Kapitel später schreibt derselbe Paulus von der Sehnsucht der ganzen Schöpfung, der Sehnsucht nach Erlösung von der Vergänglichkeit.

Auch bei mir wird sie bleiben, die Sehnsucht. Faszination und Sehnsucht liegen dicht beieinander.

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