Das Schwere

VON WOLFGANG HORN

Einhundert Jahre alt würde er heute, Erich Fried. Lyriker, Übersetzer und Essayist. Zu meiner Schulzeit gab es nichts von ihm zu lesen. Unsere Kinder und Enkel erfahren indes nun schon in der Schule, wer Fried war und was er geschrieben hat. Gottlob. Und lesen beispielsweise die Mahnung: “Zweifle nicht an dem, der sagt, er habe Angst, aber habe Angst vor dem, der sagt, er habe keine Zweifel.“

Hier ein Gedicht

Das Schwere

VON ERICH FRIED

Die Landschaft sehen
und die Landschaft hören
und nicht nur hören und sehen
die eigenen Gedanken
die kommen und gehen
beim Denken an die Landschaft
an die Landschaft ohne dich
oder an dich in der Landschaft

Vögel die steigen
hinauf in den Morgenhimmel
sind keine Raumschiffe
keine singenden Skalpelle
Nicht einmal Kinderdrachen sind sie
denn die gehören
nur dann zur Landschaft
wenn wirkliche Kinder
wirkliche Drachen steigen lassen im Wind

Und das Grau
unter den Bäumen
an einem verregneten Mittag
ist keine Höhle
für lauernde Meerungeheuer
sondern es ist nur das Grau unter den Bäumen
die vielleicht Unterschlupf sein können
vor dem Regen

Und auch die Sonne hat
keine rotblonden Haare
und der Mond hat auch ohne dich
keinen wehenden weißen Bart
Und der Abend ist der Abend
und die Nacht ist die Nacht
und Spätherbst ist immer die Zeit
zwischen Ernte und Sterben

© Naturpuur – Pfarrhof, Pfarrhof St. Jakob im Rosental.jpg CC BY-SA 4.0

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