Politische Bildung beim Radeln – geht das?

VON JOACHIM ZAPPE

Die Schallgrenze von 200 000 Radlern auf der Radtrasse wird in diesem Jahr durchbrochen werden. Man muss kein Prophet sein, um darauf zu wetten, dass es auch 2021 wieder einen neuen Rekord auf der hiesigen Trasse geben wird. Werbeleute würden sich die Hände reiben, hätten Dollarzeichen im Auge. So viele Kontakte müssten eigentlich gewinnbringend genutzt werden. 200 000 mobile Radler, das sind rund gerechnet acht ausverkaufte Heimspiele mit starrer stationärer Bandenwerbung bei Bayer 04 Leverkusen! Wieviel Millionen bekommt der Werksclub dafür?

Millionen in die Stadtkasse durch Litfaßsäulen, Schaukästen oder Plakatwände entlang der Rad-Trasse, klingt interessant, ist es aber nicht, oder? Natürlich will niemand  eine (Werbe) Mauer an den Radwegen im Bergischen errichten. Aber es muss ja nicht unbedingt Werbung sein, mit der die brachliegenden Flächen neben der Trasse gestaltet werden könnten.

Vorbildliches wird in Solingen entlang der Korkenziehertrasse geboten. Hier kommen Generationen zusammen. Am Seniorentreff mit vielgenutzten Fitnessgeräten gibt es einen umzäunten Bolzplatz und daneben den Kinderspielplatz. Zwischen Anfang der Korkenzieher-Trasse in Solingen Mitte und dem Ende in Haan findet man Tafeln mit Informationen zu den Stadtteilen, zu  heimischen Unternehmen und Institutionen. Besonders wegweisend  ist es, dass man die Trasse für die Vermittlung von Politischer Bildung nutzt und damit ein Statement gesellschaftlichen Engagements setzt.

Gegenüber dem Seniorentreff, am ehemaligen Solinger Ostbahnhof, hat das Jugendhilfe-Werkstatt Solingen ein beeindruckendes Mahnmal gestaltet und erschaffen. „Auf der Schiene verschleppt hinter Stacheldraht eingesperrt tausendfaches Menschenblut vergossen“ –  auf zwei Gedenktafeln wird mindestens 55 Opfern mehrerer Sinti-Familien aus Solingen gedacht, die von dort, dem ehemaligen Ostbahnhof, am 3. März 1943 deportiert wurden. Aus der ganz in der Nähe des Mahnmals liegenden Potshauserstraße und der Wörthstraße wurden sämtliche bis dahin noch lebenden Sinti ins Vernichtungslager Ausschwitz verschleppt.

Die Gedenkstätte am ehemaligen Solinger Ostbahnhof wurde von der Jugendhilfe-Werkstatt Solingen gestaltet und erstellt

Mehrere Institutionen Solingens waren an diesem Mahnmal beteiligt, unter anderem auch die Solinger Gruppe von Amnesty International. Im weiteren Verlauf der Trasse hat Amnesty bereits 2012 im Bereich Botanischer Garten Richtung Brücke Carl-Ruß-Straße (parallel zum Frankfurter Damm) ein Projekt zur Politischen Bildung realisiert, das beispielhaft und mehr als nachahmenswert ist. Im Vorbeigehen oder –fahren betritt der Trassenbesucher den „Pfad der Menschenrechte“. Auf insgesamt 13 Edelstahltafeln sind die 30  Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von den Vereinten Nationen verkündet wurden, zu sehen. Die Tafeln aus speziellem Edelstahl sind mehrfach beschichtet und so  gegen Zerstörungen und Beschädigungen geschützt. Neben der Trasse wurden Fundamente gegossen und eine Trittfläche  gelegt, damit man dort verweilen und in Ruhe lesen kann, ohne die Fahrbahn zu blockieren. Die Texte sind illustriert von Yayo Kawamura und kindgerecht geschrieben. Die Aufsicht und Betreuung der Tafeln ist über das naheliegende Schulzentrum Vogelsang gesichert. Über QR-Codes für Smartphones können zudem weitergehende Informationen abgerufen werden.

Helmut Eckermann von der Solinger Amnesty-Gruppe lobt auch heute noch die hervorragende Zusammenarbeit und tatkräftige Unterstützung seiner Ortsgruppe mit der Stadt und Solinger Unternehmen. Immerhin beliefen sich die Erstellungskosten 2012 auf über 10 000 Euro. Bildung an der Trasse betreiben, das Wissen über die Menschenrechte vermitteln – darauf ist Helmut Eckermann heute zu Recht stolz. Zusammen mit dem Mildred-Scheel-Berufskolleg in Solingen hat seine Mitstreiterin Daniela Tobias den „Pfad der Menschenrechte“ 2016 mit einem Audio-Guide vervollständigt, der über die Web-Seite von AI Solingen abrufbar ist. Ein schönes Zeichen: Schüler*Innen der Internationalen Klasse und von einem Religionskurs des Gymnasiums Vogelsangg sprachen die Texte ein.

Den  „Pfad der Menschenrechte“ und weitere Informationen gibt es auf der Seite der Solinger Amnesty-Gruppe unter www.amnesty-solingen.de , die ebenfalls von Daniela Tobias gestaltet wurde. Daniela Tobias ist inzwischen auch Hauptinitiatorin des Max-Leven-Zentrums in Solingen und hat weitere Projekte zur politischen Bildung entwickelt. So ist im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus eine Stadtrundfahrt entlang der Korkenziehertrasse zu Orten , die mit Zwangsarbeit, Verfolgung von Juden, Sinti und Jenischen und den sogenannten “Asozialen” sowie mit Zwangssterilisation im “Dritten Reich” zu tun haben, entstanden.

Die Stadtrundfahrt entlang der Korkenziehertrasse entstand im März 2021 in Zusammenarbeit von Daniela Tobis mit Armin Schulte (Stadtarchiv Solingen) und ist Teil einer Initiative des Deutschen Städtetags, um mit “Rundgängen für Demokratie und gegen Rassismus” ein Zeichen für die Menschenwürde zu setzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Die Tour kann sowohl mit dem Fahrrad als auch zu Fuß gestartet werden. Die Streckenlänge beträgt etwa zehn Kilometer und kann individuell durchgeführt werden. Eine Streckenkarte und ausführliche Informationen zu den Stationen und den Inhalten können auf der Seite des Max-Leven-Zentrum abgerufen werden. Hier der Link dazu: https://max-leven-zentrum.de/stadtrundfahrt-zur-geschichte-der-ns-zeit-in-solingen/

Fotos (c) Joachim Zappe

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • stefan wiersbin
    • 13.03.21, 8:58 Uhr

    In Wermelskirchen nicht gewünscht! Radverkehr schon gar nicht! Die Diskussion um Radverkehr in Wermelskirchen verfolge ich jetzt seit 20ig Jahren. Fazit: Radfahrer sind die Feinde des Autofahrers und das Auto ist dem Wermelskirchener heilig. Solange wie Lokalpolitiker, die im Rat der Stadt sitzen, der Auffassung sind ihnen nimmt man Bürgerrechte, wenn man nicht bei dem Metzger auf der Kölner Straße mit dem Auto zur Theke fahren kann, und dies Leben, wird es kein Umdenken in der Stadt geben.

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