VON WOLFGANG HORN
Die Ministerpräsidenten der Bundesländer hätten die Coronalage falsch eingeschätzt, die Bundeskanzlerin dagegen hätte mit ihren Mahnungen richtig gelegen. So heute Michael Kretschmer, seines Zeichens Ministerpräsident im Freistaat Sachsen. Mit dem Wissen von heute würden viele Dinge “zeitiger und auch konsequenter” erledigt.
Ach was. Es war also zu vernehmen, daß der Lockdown light nicht ausreichen werde. Die Kanzlerin und andere Warner waren offenbar deutlich genug. Aber die Politik, in diesem Fall die Länderfürst*innen, hatten eher den Handel im Blick, das Weihnachtsgeschäft. Und Schiss, den Bürgerinnen und Bürgern die ganze Wahrheit zuzumuten. Die ganze Wahrheit war und ist: ohne drastische Reduktion der Kontakte werden die Infektionszahlen nicht soweit sinken, daß die Nachverfolgung des Infektionsgeschehens für die Gesundheitsämter möglich wird. Vorgeschoben bzw. in den Vordergrund gerückt wurde Weihnachten als Familienfest. Die Ministerpräsidenten gingen allesamt den dauerhaft zu vernehmenden Predigten auf den Leim, daß man um Gottes Willen Handel und Wirtschaft nicht einschränken dürfe. Und die Schulen wurden nicht geschlossen mit dem Verweis darauf, daß den Kindern und Jugendlichen Lebenschancen genommen würden. Welcher Unfug. In meinem Alter erinnert man sich an die zwei Kurzschuljahre, die dazu dienten, den Schuljahresbeginn vom Frühjahr in den Herbst zu verlegen. Und all diese Kurzschuljahr-Schüler*innen haben keinen nachweisbaren Bildungsverlust erlitten, der ihre Lebenschancen erkennbar geschmälert hätte.
Also. In der Debatte um die Bekämpfung der Pandemie wird auch geheuchelt und geschummelt, um keine besonders drastischen Formulierungen zu wählen. Jetzt sind sie alle zu vernehmen. Der Lockdown light müsse in einen kurzen, aber heftigen “richtigen” Lockdown umgewandelt werden. So die Ministerpräsidenten fast unisono. Jene, die die Merkels und die Lauterbachs, die Drostes und die vielen anderen, die dies schon länger von sich geben, verlacht und beschimpft haben, gescholten oder beleidigt, sollten innehalten und sich schämen. Ich habe Frau Merkel nicht gewählt, noch nie. Aber ich werde von ihr und ihrer Regierung in diesen pandemischen Zeiten gut regiert, besser jedenfalls, als all die Vorschläge nahelegen, die Besserwisser und Superexperten in den Schwadronierkanälen dieser Zeit alltäglich von sich geben. Welche Regierung in der Welt hat denn ganz andere und viel bessere Entscheidungen getroffen als unsere? Bei allen Fehlern und allen Schwächen darf doch nicht verkannt werden, daß die Pandemie ein Jahrhundertereignis ist, auf das man sich nicht wirklich gut vorbereiten kann. In Regierungslehrbüchern ist das Kapitel “Was tun bei pandemischen Ereignissen?” nicht zu finden.
Und zu allerletzt: Den um die Freiheitsrechte besorgten Bürgern sei immer wieder gesagt: die die Grundrechte einschränkenden Maßnahmen sind eine vorübergehende Abstandsregelung, die Einhaltung von Hygienevorschriften, der Hinweis auf die regelmäßige Lüftung von Räumen, in denen sich viele Menschen einfinden, sowie das Tragen einer Mund-Nasenschutz-Maske dort, wo sich drinnen oder draußen mehrere Menschen versammeln oder begegnen. Keine Konzerte, keine Seminare, keine Restaurantbesuche, keine privaten Feiern, keine Fortbildungsveranstaltungen, keine Übernachtungen in Hotels, möglichst keine Reisen. Das alles für Tage oder Wochen, allenfalls bis Medikamente oder Impfstoffe zur Verfügung stehen, was sich ja bereits absehen läßt. In der deutschen Geschichte gibt es wahrlich angsteinflößendere Grundrechtsbeschränkungen. In dieser Debatte um Covid-19 wird mir die Rationalität zu sehr ramponiert, die Vernunft, das Maß und die Verhältnismäßigkeit. Wenn zaudernde Politiker, uneinsichtige Partygänger und Denkern in die Quere kommende Cerbralasketiker ungewollt in einer Mannschaft spielen, bekommt man ein Ergebnis, wie wir es derzeit in unserem Land sehen. Schade.