BUCHTIPP XIII: DEUTSCHER JUGENDLITERATURPREIS 2020

Nominierungen der Jugendjury

VON MARIE-LOUISE LICHTENBERG

Die Erde wurde in 21 Archen zerschlagen, die seither wie Inseln am Himmel schweben. Auf der Arche Anima lebt Ophelia, bis die Matriarchinnen ihres Klans beschließen, dass sie Thorn vom Klan der Drachen heiraten soll, der auf der eisigen Arche Pol lebt. Sie weiß nicht, dass diese arrangierte Heirat politische Gründe hat. Es geht vor allem um ihre Gaben, denn sie beherrscht das Reisen durch Spiegel und sie kann mit den Händen Gegenstände „lesen“. Um der Familienehre nicht zu schaden, fügt sich Ophelia in die Pläne und reist in Begleitung ihrer Tante auf die entlegene Arche. Dort erwartet sie eine fremde Welt – voller Illusionen, Trugbilder und Intrigen.

In einem dynamischen und intelligenten Stil, geprägt durch eine auffallend treffende Wortwahl, beschreibt die Autorin ungemein phantasievoll die Geschicke ihrer Heldin, deren Gaben souverän in den Kosmos der Archen eingebunden werden. Dieser Fantasy-Roman in der Übersetzung von Amelie Thoma ist ideenreich und frei von Vorbildern, so dass man in eine faszinierende, unbekannte Welt voller überraschender Wendungen und ausgefallener Figuren eintaucht.

Christelle Dabos • Die Verlobten des Winters • Aus dem Französischen von Amelie Thoma • Insel • ISBN 978-3-458-17792-0 18,00 € • Ab Zwölf

Diese Erzählung hat uns literarisch überzeugt und emotional berührt. Das Buch ragt aus den aktuellen Fluchtgeschichten heraus. Dem etwa zehnjährigen Protagonisten bleibt als unbegleitetem Flüchtling ohne Papiere anstelle seines Namens nur der Buchstabe I. Zusammen mit den Kindern L, E und V ist er in einem Camp für Geflüchtete untergebracht. Hier sind Essen und Unterkunft knapp, Fürsorge und Zuwendung von Erwachsenen fehlen. Trotzdem erlebt dieser Junge seinen Alltag mit kindlicher Freude, sieht seiner Zukunft mit Zuversicht entgegen. 

Humorvoll, mutig und einfallsreich stellen sich I und seine Freunde als Geheimagenten ihren Abenteuern. Is Versuche, für andere stark zu sein, ihnen zu helfen und trotz der schlimmsten Erfahrungen des belastenden Lagerlebens beharrlich nach Schönem und Hoffnungsvollem zu suchen, sind Ausdruck seines unerschütterlichen Lebenswillens, seiner kindlichen Widerstandskraft und seiner Fähigkeit, träumen und phantasieren zu können.

Steve Tasane gestaltet diese Geschichte so, dass die Leserin oder der Leser sie wie in einer Draufsicht miterlebt und Nähe ohne mitleidige Betroffenheit empfindet. Mit schnörkelloser, nahezu nüchterner Sprache beschreibt er die Abläufe im Camp und fügt in diese Schilderung Begebenheiten ein, die vom Entstehen der besonderen Beziehungen zwischen den Kindern künden. Die Geschichte des Jungen, der sich seine Einzigartigkeit nicht nehmen lässt, entwickelt ihren Sog durch die konsequent kindliche Sicht in der Ich-Perspektive, die auf dem Buchdeckel beginnt und mit dem Satz „Wir bewegen uns schnurgerade voran.“ endet.

Steve Tasane • Junge ohne Namen • Aus dem Englischen von Henning Ahrens • Fischer Sauerländer • ISBN 978-3-7373-5643-5 • 16,00 € • Ab Zwölf

Die Texte stammen von den jeweiligen Jurys.

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