Camino Santiago: León nach Villar de Mazarife. Heute also die vorletzte Etappe für dieses Jahr. Ich startete heute Verhältnismäßig spät in den Tag. Es war schon 6:45 Uhr, als ich die Herberge verließ, allerdings hatte ich da schon gefrühstückt. So richtig in Gang bin ich erst sehr spät gekommen. Auf dem Weg aus der Stadt und den Vorstädten von León luden einfach zu viele Kaffeebars zum Verweilen ein. So hielt ich gefühlt an jeder zweiten Kaffeebar. Nach mehr als drei Stunden und etwa zehn Kilometern hatte ich endlich den Großraum León verlassen. Die nächsten elf Kilometer bis nach Villar de Mazarife führten über unbefestigte Feldwege durch die Natur. Da der Camino nach Astorga über Villar Mazarife als Alternativroute gilt, waren auf diesem Streckenabschnitt deutlich weniger meiner Mitpilger unterwegs. Im Ort, den ich gegen 13 Uhr erreichte – heute habe ich getrödelt –, quartierte ich mich in der Herberge „Tio Pepe“ ein. Diese Herberge wartet mit Vierbett-Zimmern auf. Eine Nacht mit deutlich weniger Mitpilgern finde ich auch mal ganz angenehm.
Die Stadt León strahlte für mich dieses mal einen besonderen Reiz aus, einen liebenswerten Charme. So schlenderte ich durch die Stadt und genoss gegenüber dem Gaudi Palais Patata Bravas und ein Bier. Danach war der Besuch der Kathedrale angesagt. Für mich eine der Schönsten, die ich kenne. Eine wunderbare, helle, gotische Kathedrale mit einer Fensterfläche von 1800 Quadratmetern. Wenn man bedenkt, wann diese Kirche endstanden ist, 1255 bis 1302, eine echte Meisterleistung. Das Benediktinerinnenkloster von León beherbergt noch 30 Schwestern, die meisten von ihnen in einem fortgeschrittenen Alter. Eigentlich schade, dass die Ordensgemeinschaft so wenig Nachwuchs hat.
Eine deutsche Mitpilgerin, die sich die Füße wund gelaufen hat und nun nicht mehr laufen kann, war ein wenig besorgt, da ich mir neue Schuhe gekauft habe. Diese seien ja nicht eingelaufen. – Ich kann alle beruhigen, es hat keine Probleme gegeben.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_von_León
Im Laufe des gestrigen Gesprächs mit Willi, dem Studienreisenden aus Sachsen, sprach er mich auf mein T-Shirt des Solinger Vereins Be Yourself, – Verein für genderspezifisch Verfolgte – an. Ihm war nicht klar, dass dies ein besonderes Problemfeld im Bereich Flüchtlinge ist. Ich erklärte ihm und meinem anderen Mitpilger, dass dies sehr wohl ein großes Problem ist, dies in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch kaum vorkommt. Ich klärte darüber auf, dass es immer wieder vorkommt, dass die Fluchtursache „genderspezifisch verfolgt” (z.B. homosexuell) vom Bundesamt für Flüchtlinge nicht anerkannt und der Asylantrag abgelehnt wird. Viele der Betroffenen outen sich nicht, um in den Flüchtlingsunterkünften keinen Repressalien ausgesetzt zu sein. Viele geben den wahren Grund ihrer Flucht nicht an, da sie glauben, auch hier Repressalien fürchten zu müssen. – Eine nicht ganz unberechtigte Sorge, wie sich gestern in Polen gezeigt hat. In Tschetschenien, auch nicht wirklich weit weg, kommt es immer wieder zu Säuberungsaktionen bei den Menschen, die homosexuell sind oder von denen man dies glaubt, ermordet werden. – So musste ein Freund aus Bangladesch, der abgelehnt wurde, jetzt einen erneuten Asylantrag stellen. In seinem Heimatland konnte er nach Bekanntwerden seiner Homosexualität nicht bleiben, da man ihm mit der Ermordung gedroht hat. – Und, auch im zweiten Verfahren geht die Rechtsanwältin davon aus, dass es zur Klage vor dem Verwaltungsgericht kommen wird.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Geschlechtsspezifische_Verfolgung
Die heutige Tageslosung lautet: Das Selbst und der Rest des Universums sind keine getrennten Entitäten, sondern ein funktionierendes Ganzes. – Eine tröstliche Losung, sagt sie doch, dass jedes Geschöpf, jeder Mensch Teil der Schöpfung ist, jeder Mensch, jedes Geschöpf einen Anteil zu dem großen Ganzen beiträgt.
Ich finde es erschreckend, wie die modernen sozialen Medien, wie Facebook und Co. dazu führen, dass bisher Unsagbares sagbar wird und wurde. Wie Sprache verroht. Es ist erschreckend, dass selbst in einem doch eigentlich beschaulichen Ort wie Wermelskirchen rechtsradikales Gedankengut Einzug in die politische Auseinandersetzung hält. Auch, wenn man nun versucht, darüber das Deckmäntelchen des konservativen Bürgertums zu werfen. Es ist erschreckend, dass ein einzelner Lokalpolitker unwidersprochen Menschen bei Facebook zur „persona non grata“ erklären kann. Ehrlicherweise ist es mir relativ, ob dieses Äußerungen vom Gesetzt gedeckt sind oder nicht! – Bis zum Aufkommen dieser „sozialen Medien“ gab es einen gesellschaftlichen Konsens, dass es Dinge gibt, die man öffentlich nicht sagt. – Wenn wir gemeinsam nicht aufpassen und nicht dagegen halten, um es mit Konstatin Wecker zu sagen, „Sage Nein!“, werden wir, so fürchte ich, in dunkelste Zeiten zurückkehren. Ich sage „Nein!!!“ Nicht alles Sagbare ist sagbar!
Morgen also mein letzter Tag auf dem Camino Santiago für dieses Jahr. Villar Mazarife nach Astorga. Eine Etappe von 32 Kilometer. Da es heute Morgen um neun Uhr hier schon 30 Grad warm war, werde ich in der Frühe um sechs Uhr starten.