Von Wolfgang Horn
Um jeden Preis punkten, auch wenn es sachlich komplett daneben ist. Das scheint mir derzeit eine Devise in der Kommunalpolitik zu sein. Die CDU hatte sich im Vorfeld der Haushaltsberatungen im Stadtrat eigens eine Klausur verordnet und dabei unter anderem beschlossen, der von der Verwaltung geforderten Stelle eines Stadtarchivars nicht zustimmen zu wollen. Die CDU wollte sich partout, um jeden Preis, als Partei der Haushaltsvernunft profilieren. Die einzig vernünftige Behandlung von Dokumenten der Stadt und der Stadtgeschichte hat sie schlicht geopfert. Schon an der Stelle hätte sich in der großen Fraktion Widerstand regen müssen. Wie kann es sein, das haben wir an dieser Stelle schon gefragt, wie kann es sein, daß gerade eine bürgerliche Partei, in der sich auch geschichtsbewußte Konservative versammeln, derart achtlos mit den Zeugnissen der Vergangenheit umgeht? Wie kann es sein, daß Haushaltslogik gegen die Logik der Politik, gegen die Logik ordentlichen und pfleglichen Umgangs mit der Geschichte der Stadt in Stellung gebracht wird? Um jeden Preis. Ist in der großen Fraktion wirklich bei allen Mitgliedern das Gespür verloren gegangen, welche Bedeutung die Geschichte auch für die aktuelle Politik hat und haben kann? Das kann und will ich nicht glauben. Dann muß die Widerstandslosigkeit der Vielen an der Bereitschaft liegen, sich den Ideen der führenden Köpfe ohnmächtig auszuliefern. Ein Armutszeugnis.
Und mit dieser Haltung vermeintlicher Stärke ist die CDU in den Rat gegangen und hat den übrigen Parteien dort signalisiert, daß sie dem Haushalt nicht zustimmen werde, sollte man die Einsparvorschläge der Christdemokraten nicht mittragen. Im bürgerlichen Umgang nennt man das Erpressung. In der Politik mag man sich mit dem Wort von den Machtspielen trösten. Anständiger wird das Verhalten dennoch nicht. Jetzt aber, seit zwei, drei Tagen, steht die CDU in Wermelskirchen vor einem kompletten Scherbenhaufen. Der Landschaftsverband Rheinland, den der Bürgermeister ins Spiel gebracht hat, um die Frage zu klären, ob das Stadtarchiv nicht eine Pflichtaufgabe der Kommune und deshalb auch die Stelle eines Archivars erforderlich sei, hat signalisiert, daß die pflegliche Behandlung der Stadtarchivalien seitens der Stadt unumgänglich ist. Bürgermeister Rainer Bleek hat daraufhin den entsprechenden Ratsbeschluß, zu dem die CDU andere Parteien gepreßt hat, beanstandet.
Ein simples „Ätsch“ in Richtung der Christdemokraten scheint mir vollkommen unangemessen. Die Christdemokraten haben in dieser Frage versagt. Das scheint mir eindeutig zu sein. Sie wollten um jeden Preis ihr Profil als Haushaltssanierer schärfen. Und haben sich nunmehr das Profil einer geschichtsvergessenen Gemeinschaft erworben. Was mich mehr stört, ist die Ahnungslosigkeit, besser: die Instinktlosigkeit, die sich offenbar in der größten Fraktion im hiesigen Stadtrat breitgemacht hat. Hat es denn wirklich keine mahnende Stimme mehr gegeben, nach anderen Einsparmöglichkeiten zu suchen? Hat es denn niemand vermocht zu erklären, daß eine Erpressung nicht die ultima Ratio der Kommunalpolitik sein kann? Der Kommunalpolitik, die in aller Regel doch auf den Konsens baut, den Kompromiß, die Überzeugung. Hat wirklich niemand in der großen Fraktion eine Ahnung davon gehabt, in welch jammervollem Zustand sich die Stadtarchivalien befinden? Ist wirklich niemand in dieser Fraktion auf die Idee gekommen, vor dem Beschluss die Meinung von Experten einzuholen, wenn man sich selber schon kein Urteil machen kann? Nicht nur das Archiv der Stadt ist in einem jammervollen Zustand. Das beunruhigt mich.
Lieber Herr Horn,
leider haben Sie den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht nicht durchblickt. Leider behandeln Sie die CDU auch nicht objektiv. Hier mein Brief an den BM.
Viele Grüße
Christian Klicki
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
der Termin ist aus Sicht der CDU-Fraktion sehr ungünstig. Ein Termin am Mittwoch, den 08.05.2019 würde aus unserer Sicht besser klappen.
Ferner fordere ich Sie auf die Beanstandung des Ratsbeschlusses zurückzunehmen. Sollten Sie unserer Forderung nicht nachkommen, werden wir erwägen eine rechtliche Lösung mit Hilfe der Kommunalaufsicht oder einem Kommunalverfassungsstreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht zu ersuchen.
Der getroffene Ratsbeschluss ist nach Konsultation mit den Juristen der Kommunalpolitischen Vereinigung e.V. („KPV“) offensichtlich rechtmäßig.
Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung steht es in der Gestaltungsfreiheit einer Gemeinde, wie sie eine Pflichtaufgabe wahrnehmen möchte.
Die Stellungnahme des Landschaftsverbandes empfiehlt uns ausdrücklich die Schaffung der Stellen. Weiterhin räumt § 10 des Archivgesetzes NRW der jeweiligen Kommune ein weites Ermessen ein, in welcher Art und Weise die Aufgabe „Archiv“ erfüllt werden soll. Ein Blick auf die Vorschrift verdeutlicht das Ermessen:
§ 10
(2) Sie erfüllen diese Aufgaben durch
1. Errichtung und Unterhaltung eigener Archive oder Übertragung auf eine für Archivierungszwecke geschaffene Gemeinschaftseinrichtung oder
2. Übergabe ihres Archivguts zur Archivierung in einem anderen öffentlichen, nichtstaatlichen Archiv.
Im Rahmen der elektronischen Archivierung ist die Nutzung von Serviceleistungen nach Maßgabe von § 3 Absatz 4 zulässig.
(3) Die Archive und Gemeinschaftseinrichtungen müssen archivfachlichen Anforderungen entsprechen, indem sie
1. hauptamtlich oder hauptberuflich von Personal betreut werden, das die Befähigung für eine Laufbahn des Archivdienstes besitzt oder sonst fachlich geeignet ist, oder
2. von einer Dienststelle fachlich beraten werden, bei der eine Archivarin oder ein Archivar mit der Befähigung für eine Laufbahn des Archivdienstes tätig ist.
(4) Unterlagen, die zur Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt werden, sind dem Archiv anzubieten.
Trotz der Nichtschaffung der Stelle eines professionellen Archivars gibt es weitere Möglichkeiten den Verpflichtungen aus § 10 des Archivgesetzes NRW nachzukommen.
Unter anderem durch:
Schaffung einer Gemeinschaftseinrichtung
Übergabe an ein nichtstaatliches Archiv
Umsetzung eines in der Verwaltung vorhandenen Mitarbeiters, unter Umständen unter Einbeziehung der erforderlichen Schulungen, sofern er noch nicht „sonst fachlich geeignet“ ist
Besetzung der Stelle im Wege einer befristeten Stelle, die nicht in den Stellenplan muss
Aus diesem Grund überschreiten Sie Ihre Kompetenzen mit der Beanstandung des Beschlusses. Die Gemeindeordnung trennt zwischen § 54 Abs. 1 GO NRW („Widerspruchsrecht“) und § 54 Abs. 2 GO NRW („Beanstandungspflicht“). Sind Sie als Bürgermeister der fachlichen/politischen Auffassung, dass ein Ratsbeschluss „falsch“ ist, haben Sie ein Widerspruchsrecht. Dieses Widerspruchsrecht ist strikt zu trennen, von der Pflicht rechtswidrige Beschlüsse zu beanstanden. Sie haben sich ausdrücklich auf § 54 Abs. 2 GO NRW berufen und nicht auf § 54 Abs. 1 GO NRW. Mangels Rechtswidrigkeit des Beschlusses fordern wir Sie auf, die Beanstandung zurückzunehmen. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie eine „fragwürdige“ Auslegung der Gemeindeordnung vornehmen. In diesem Fall überschreiten Sie offensichtlich Ihre Kompetenzen. Hätten Sie politisch für den Archivar kämpfen wollen, hätten Sie sich auf § 54 Abs. 1 GO NRW berufen müssen.
Wir können uns selbstverständlich über Kompromisse unterhalten, jedoch hat in der Vergangenheit Ihre Einsichtigkeit gefehlt, dass Sie entgegen der Gemeindeordnung handeln. Wir als CDU-Fraktion sind nicht bereit zu dulden, dass ein Bürgermeister die Gemeindeordnung nach seinem „Gusto“ interpretiert.
Gerne stehe ich für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Klicki
Lieber Herr Klicki,
Sie haben vollkommen Recht. Ich durchblicke den in Rede stehenden Sachverhalt des unpfleglichen Umgangs mit den Archivalien der Stadt in rechtlicher Hinsicht nicht.
Aber: Dieser Frage habe ich mich nicht mit einem Wort zugewandt. Mir geht es überhaupt nicht um die juristische Problematik. Ich habe mich ausschließlich mit der Bedeutung des Stadtarchivs, mit der Politik Ihrer Fraktion zum Stellenplan und zum Haushalt sowie der Tatsache befaßt, daß es offenbar in der konservativen Volkspartei keinerlei abweichende Position mehr gibt, wenn es um die doch eigentlich auch oder vor allem von Konservativen zu pflegenden und zu beschützenden Dokumente der Vergangenheit geht.
Auch Fachleute halten Ihren Umgang mit der Stelle eines Stadtarchivars für fragwürdig, wie man dem Leserbrief des Vorsitzenden des Bergischen Geschichtsvereins Wermelskirchen entnehmen kann.
Insoweit geht auch Ihr zweiter Vorwurf ins Leere, nämlich, daß ich die CDU nicht objektiv behandelte. Behandeln etwa auch der Bergische Geschichtsverein oder die WNKUWG die CDU nicht objektiv? Ist die Kritik an einem Beschluss der Christdemokraten in einer Einzelfrage schon mangelnde Objektivität? Kann also die Frage danach, ob es in der großen Fraktion der CDU oder im Stadtverband keine abweichende Meinung gegeben hat, oder danach, ob niemand vor dem Beschluss die Einholung einer Stellungnahme von Historikern oder Archivfachleuten angeregt hat, mit dem Urteil mangelnder Objektivität abgebürstet werden?
Nein, lieber Herr Klicki, wer Politik macht, muß mit Gegenwind, mit abweichenden Meinungen, mit Kritik rechnen und darf nicht dünnhäutig mit einem Mi-mi-mi reagieren. Das wissen Sie ja auch, ist es doch Ihr täglich Brot.
Ihr
Wolfgang Horn