Kirchenkino-Nachkritik: Deportation Class

Von Wolfgang Horn

Ein leibhaftiger Innenminister schlüpft in fabrikneue Turnschuhe, stülpt sich ein uniformähnliches Käppi auf den kurzgeschorenen Schädel und leitet zu nächtlicher Stunde, gegen drei, halb vier Uhr, vor laufenden Kameras den Abschiebeeinsatz vieler Polizisten sowie Beamten aus Ordnungsämtern unterschiedlicher Kommunen und Ausländerbehörden gegen abgelehnte albanische Asylbewerber in Flüchtlingsunterkünften in Mecklenburg-Vorpommern. Lorenz Caffier wollte es besonders martialisch haben, sich als unerschrocken, entscheidungsfreudig und tatkräftig zeigen. Die Landtagswahlen standen vor der Tür. Und Caffier wollte für sich und seine Partei, die Christdemokraten, punkten, als Hardliner. Mit entschiedenem Handeln, mit Führungsstärke, mit dem unablässigen Verweis darauf, daß man lediglich Gesetze und Entscheidungen von Gerichten und Behörden umsetze, daß alles rechtsstaatlich verlaufe.

Deportation Class heißt der Film, der auf diese Weise entstanden ist. Ein bedrückender Film. Ein Film, der die entmenschlichte Sprache der Abschieber und Sicherheitsbehörden deutlich werden läßt, wenn beispielsweise von „Zuführkommandos“ die Rede ist oder wenn auf Polizistenwesten „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ zu lesen ist.

Ein sachlicher Dokumentarfilm von Carsten Rau und Hauke Wendler. Die Autoren schildern die Abschiebungs-Serie in Mecklenburg-Vorpommern im letzten Jahr am Beispiel zweier albanischer Familien. Da sind die Behördenvertreter, die ihre Arbeit beschreiben, im Gegenzug die Statements der abgeschobenen Menschen. Eine einfache, nicht spektakuläre, aber wirkungsvolle Dramaturgie.

Ein Einsatzleiter aus Stralsund bekennt, daß er „dazu eingeteilt“ worden sei und er und seine Kollegen „das emotionslos“ hinnähmen. „Also, wir dürfen, können und werden auch keine Emotionen zeigen. Das ist Recht und Gesetz; die sind ausreisepflichtig und das gilt es umzusetzen.”

Gegen Ende des Film heißt es aus dem Munde eines Beamten am Rostocker Flughafen: “Die Zahlen seien ordnungsgemäß angeliefert worden”. Die Zahlen? Er meint die Menschen. Entmenschlichte Behördensprache.

Die Filmautoren zeigen am Ende des Films die albanische Familie, von Blutrache bedroht, nun zwangsrepatriiert in Albanien, mit ihren Koffern auf der staubigen Straße, von der Tante, bei der sie kurzfristig unterkommen konnten, unter Tränen aus Angst zum Auszug genötigt: “Für uns gibt es nichts mehr. Ich weiß auch nicht, wohin wir gehen.”

Ein quälendes Schlussbild. Mit ihm erhält alle Kritik an der deutschen Asylpolitik und ihrer Abschiebepraxis ein humanistisches Gewicht.

Dank an die Verantwortlichen des Kirchenkinos, an die Familie Schiffler vom Film-Eck und Cornelia und Ulrich Seng von der evangelischen Kirchengemeinde, für diese Filmauswahl wie auch für die behutsam und freundlich gelenkte Debatte im Anschluß an die Vorstellung. Das Kirchenkino ist ein kulturelles und politisches Kleinod in dieser Stadt, auch wenn beispielsweise die politisch Verantwortlichen, die Parteien, jene, die ansonsten ständig Meinungsführerschaft beanspruchen, durch Abwesenheit glänzten.

http://www.pier53.de/dokfilm/deportationclass.html

Nachtrag: Genutzt hat Lorenz Caffier das Spektakel nicht. Er und seine Partei verloren bei den Landtagswahlen etwa vier Prozentpunkte und kamen nur noch auf 19%.

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