Ein Wort zum Montag, dem 16. September 2024
VON CORNELIA SENG
Die Klosterkirche von Jerichow ist ein beeindruckendes Gebäude. Obwohl es keine bunten Kirchenfenster, kein Kruzifix und keine alten Gemälde gibt. Nur an einer Stelle gibt es einen Hinweis auf eine biblische Geschichte. In der Krypta, am Kapitell der zentralen Säule ist eine kleine Figur zu sehen. Es ist ein großer Kopf – ist es ein Monster oder ein Walfisch? – der einen kleinen Menschen ausspuckt. Mit den Füßen zuerst. Die Beine und der Unterleib ragen zwischen den riesigen Zähnen heraus. Der Oberkörper steckt noch im Fischkopf.
Sofort fällt einem die biblische Geschichte von Jona ein. Von Jona, dem Propheten, der nicht nach Ninive gehen wollte. Gott hat einen großen Fisch geschickt, um ihn doch noch an Ort und Stelle zu bringen. Bei Zeichnungen in Kinderbüchern wird Jona meist mit dem Kopf zuerst ausgespuckt. Hier an der Säule wird Jona gleich aufrecht stehend ausgespuckt.
Das Mutterkloster in Magdeburg hat diese besondere Säule der Kirche in Jerichow gestiftet. Von Jerichow aus sollten die Brüder unter den slawischen Völkern das Christentum verbreiten. War diese Erinnerung an Jona eine Mahnung? Gott hatte einst den Propheten Jona mit Hilfe des großen Fisches nach Ninive gebracht. Wollten sie den jungen Priestern sagen: „Dieses feuchte Gebiet östlich der Elbe ist euer Ninive“? Hier ist euer Platz zum Leben. Das ist die Platzanweisung Gottes für euch!
Eine befreundete Kollegin im Ruhestand hat mir kürzlich ein Buch ausgeliehen. Es ist die Lebensgeschichte einer Pfarrerin. Sie ist fast genauso alt wie ich. Doch nach dem Theologiestudium in Heidelberg und Göttingen hat sie eine Pfarrstelle in der DDR übernommen. Der Liebe wegen. Sie hat es als Platzanweisung Gottes gesehen. Im Westen hätte sie es einfacher haben können. Viel einfacher! Ohne Kontrollen des SED-Regimes und ohne Bespitzelung durch die Staatssicherheit. Aber sie war überzeugt, dass Gott sie an diesem Platz haben wollte. Und sie hat beherzt ihr Leben unter den Einschränkungen und Widrigkeiten in der DDR gestaltet.
Christen verstehen oft ihr Leben als „Platzanweisung“ Gottes. Nicht nur die alten Missionare und die Mönche. Platzanweisung Gottes kann auch der Beruf oder die Rolle sein. Auch eine Krankheit oder einschränkende Behinderung kann die Lebensaufgabe sein, die Gott mir zugewiesen hat. Wie viel im Leben kann nicht selbst bestimmt werden. Andere, große Faktoren bestimmen mein Leben mit!
Das Vertrauen in Gottes Platzanweisung für mein Leben ist keine Schicksalsgläubigkeit. Erst recht kein Glaube an die „Vorsehung“. Es ist kein passives „Sich schicken“. Es ist Vertrauen.
Das Vorbild ist Abraham. Er vertraute Gott und fand im Land Kanaan einen neuen Platz zum Leben. Gott hat sein Leben liebevoll segnend begleitet.
Vielleicht würden wir gerne an einem anderen Ort leben. Oder unter anderen Lebensumständen. Im Alter machen einem die Einschränkungen des Lebens Mühe.
Hier und jetzt ist mein Platz zum Leben. Gott hat mich hierhin gestellt. Auf sein Nahesein vertraue ich. Beherzt und getrost. Und aufrecht.