Ein Wort zum Montag, dem 5. August 2024
VON CORNELIA SENG
Gleich am Eingang steht eine kleine Kaffeepflanze. Unauffällig. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass manche Blätter kleine Portraits zeigen.
Südfrüchte – wegen der Verderblichkeit oft aus Plastik – , gedruckte Pflanzen auf bunt gestreiftem Untergrund und immer wieder zum Fächer gefaltetes Papier: Die Ausstellung im Kunsttempel in Kassel wurde von zwei Künstlerinnen gemeinsam gestaltet. Gabrielle Manglou stammt aus Réunion im Indischen Ozean. Joey Arand ist eine Künstlerin aus Kassel. Die beiden haben ihre unterschiedlichen Kulturen miteinander ins Gespräch gebracht. Vorsichtig und leise. Ich ahne den Schmerz der Kolonialzeit genauso wie den Schmerz der Vergangenheit in Hessen: Verzierungen von hessischen Trachten sind zusammen mit Fotos menschenverachtender Aktionen der Nazis damals in Kassel zu einer Collage zusammengestellt.
„Gefaltete Spuren“ haben die Künstlerinnen die Ausstellung genannt. Hier wird nichts behauptet, nicht angeklagt. Zwischen den „Falten“ muss ich mir meine eigenen Gedanken machen. Nichts liegt auf der Hand, nichts ist offensichtlich. Alles scheint verborgen in der Vergangenheit und muss doch entfaltet werden. Wie soll das gehen? Ich werde meine eigene Antwort finden müssen.
Jesus hat von dem „Geheimnis des Reiches Gottes“ gesprochen (Mk 4,11). In Beispielen und Geschichten aus dem Leben hat er davon erzählt. Wie ein Samenkorn, das im Erdreich keimt und wächst, so ist das Reich Gottes. Schnelle Ergebnisse und platte Antworten sind nicht die Sache des Reiches Gottes. Offensichtlich, messbar, beweisbar ist es nicht. In den „Falten“ ist es verborgen. Wir ahnen es, wir suchen es.
Und hier und da kann man es heute schon erleben: Wo der Geist Gottes Menschen befähigt, aufeinander zuzugehen in Frieden und Freundlichkeit. Da machen Menschen einen Luftsprung. Wie einer, der Perlen liebte. Er machte einen Luftsprung, als er die eine, einzigartige Perle gefunden hat – so hat es Jesus erzählt.
In der Ausstellung sind z.B. Zollstöcke zu bunten Kunstwerken geworden. Zollstöcke, die eigentlich gebraucht werden, um zu messen, abzugrenzen, Linien zu ziehen. Jetzt tragen sie die Früchte der Vergangenheit. Lustig und bunt. Hoffnungsvoll.
Ob meine Deutung den Künstlerinnen recht ist? Das bleibt ein Geheimnis.
(Alle Fotos aus der Ausstellung „Traces Pliées“ von G. Manglou und J. Arand im Kunsttempel in Kassel)