DIE GESCHICHTE VOM BLEICHEN KÖNIG

Ein Wort zum Montag, dem 16. Juni 2024

VON CORNELIA SENG

Am späten Freitagnachmittag ist es still im Museum “Alte Meister” in Schloss Wilhelmshöhe. Ich stehe vor dem großen Gemälde “Das Gastmahl des Königs Belsazar”. Pieter de Grebber hat es schon 1625 signiert. Das Bild stellt eine Szene aus dem Ersten Testament der Bibel im Buch Daniel dar (Kapitel 5). 

Wie eine Zuschauerin im Theater fühle ich mich vor dem Gemälde. Die Bühne ist voller Menschen. Drei von ihnen haben schwere, wertvolle und reich verzierte Gefäße in der Hand. “König Belsazar machte ein herrliches Mahl für seine tausend Mächtigen und soff sich voll mit ihnen. Und als er betrunken war, ließ er die goldenen und silbernen Gefäße herbringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte, damit der König mit seinen Mächtigen, mit seinen Frauen und mit seinen Nebenfrauen daraus tränke” (Dan 5,2).

Beim Gelage zu später Stunde machen die heiligen Gefäße aus dem Tempel von Jerusalem die Runde. Stärker kann man die Respektlosigkeit dem Gott der Juden gegenüber nicht ausdrücken!

 Mein Blick fällt auf den vor Schreck erbleichten König. Voll Angst weicht er zurück in die Arme einer Magd! In seiner Lächerlichkeit tut er einem fast Leid. Was lässt ihn so erbleichen?

Es ist eine Schrift an der Wand, in diesem Moment von einer großen Hand gezeichnet. “Es gingen hervor Finger wie von einer Menschenhand, die schrieben  gegenüber dem Leuchter auf die getünchte Wand im Königspalast” (V5). 

Alle Gäste und Diener des Festmahls schauen erschrocken auf die Schrift. Verwirrt und fragend. Was hat das zu bedeuten? Bestimmt nichts Gutes. Doch keiner der Zauberer und Wahrsager am Palast kann den Vorgang erklären. 

Niemand – bis auf Daniel. Der Königinmutter fällt zum Glück Daniel wieder ein: “Zu deines Vaters Zeiten fand sich bei ihm Erleuchtung, Klugheit und Weisheit wie der Götter Weisheit. … Bei ihm wurde ein überragender Geist gefunden, dazu Verstand und Klugheit, Träume zu deuten, dunkle Rätsel zu erraten und Verschlungenes aufzulösen” (V11). In seiner Not hört der König auf sogar seine Schwiegermutter. Er lässt Daniel rufen.

Und tatsächlich! Daniel kann die Schrift an der Wand deuten. “Mene mene tekel uparsin” – “gewogen und zu leicht befunden”, bedeuten die Zeichen. Das heißt: Die Tage des Königs sind gezählt. Das “Menetekel” ist eine düstere Botschaft für den Despoten.

Die “heiligen Gefäße” von damals, die mutwillig missbraucht wurden: Für Jesus sind das meine “Nächsten”, die Mit-Menschen. Jeder Mensch ist geschaffen als ein Ebenbild Gottes! Wertvoll und kostbar. Seine Würde darf nicht beschädigt werden. Jedem wird Gott nachgehen wie der Hirte dem einen verlorenen Schaf. “Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern (und Schwestern), das habt ihr mir getan” (Mt 25,40). So hat es Jesus gesagt.

Wer wird heute erbleichen vor einer solchen Schrift an der Wand? 

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