Wenn die Eltern plötzlich alt sind.

Eines Tages ist es soweit: Die Eltern sind plötzlich alt geworden, können ihr Leben nicht mehr alleine meistern und die Kinder sind auf einmal in der Pflicht. Sie müssen sich kümmern. Werden zu Kümmererkindern. Zunächst ist die Unterstützung alter Eltern selbstverständlich, später aber wird das Kümmern vielfach zur physischen und emotionalen Überforderung.

Dieses streßbeladene und ängstigende Thema in einen heiteren Vortrag, eine unterhaltsame Lesung und eine muntere Diskussionsrunde zu verwandeln, das ist heute Abend drei Frauen gelungen: der Autorin des Buches, Birgit Lambers, seit Jahren als Therapeutin tätig, heute Abend als Unterhalterin und Erklärerin gefragt, der Buchhändlerin Gaby van Wahden, die mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Esther Wargenau-Zeitz, den bunten Abend mit Lesung, Vortrag, Diskussion und leckeren Häppchen in den Bürgerhäusern organisiert hatte.

Die Betreuung alter Eltern wird vor allem von den Töchtern geleistet. Das spiegelte auch die Zusammensetzung des Publikums am heutigen Abend wieder. Von den nur etwa 25 Besuchern dieser rundum gelungenen Veranstaltung waren lediglich vier männlichen Geschlechts.

Wann sind die Eltern wirklich alt? Die “Best Ager”, wie es in der Werbesprache so nett heißt, das sind die sportlichen, sonnengegerbten, wohlhabenden, konsumfreudigen Alten, die modischen Markenartikelkonsumenten, die kosmopolitischen Kultursenioren. Gemeint sind aber die Eltern, wenn sie krank sind, pflegebedürftig, nicht mehr selbständig handeln können. Wenn sie störrisch werden, uneinsichtig.

Wir sind, so Birgit Lambers, die erste Generation, für die der bislang geltende Generationenvertrag nicht mehr so gilt, wie er einst fraglos von der nachfolgenden Generation erfüllt wurde. Gründe? Die räumliche Nähe zwischen Eltern und Kindern ist meist nicht mehr so gegeben wie einst, Frauen sind in viel höherem Maße erwerbstätig, die “Kümmer”-Zeiten haben sich enorm ausgeweitet. Im Schnitt sind es mehr als acht Jahre, die sich Kinder, Töchter, um ein Elternteil oder beide Eltern kümmern müssen, mitunter gar länger als ein Jahrzehnt. Wesentlich länger also als noch vor Jahren.

Birgit Lambers hat eine Vielzahl von Gesprächen mit alten Eltern und sich kümmernden Töchtern und Söhnen geführt. Dieses reichhaltige empirische Material und die Erfahrung von unzähligen Seminaren zu diesem Thema, das ist der Stoff, aus dem das Buch und auch der Vortrag entstanden ist. Aus einzelnen Kapiteln las Birgit Lambers; aus den Interviews mit Betroffenen erzählte sie erhellende, mitunter anrührende oder auch erheiternde Geschichten; und schließlich referierte sie Einzelheiten aus ihren Recherchen, beispielsweise, wie andere Länder oder Kulturen mit ihren alten Menschen umgehen, in China etwa, wo es strenge Auflagen für die Kinder gibt, wenn sie ihre Eltern betreuen, oder in den skandinavischen Ländern, in denen das vor allem eine staatliche Aufgabe ist.

Es ist unmöglich, die thematische Breite des Buches und der Arbeit von Birgit Lambers hier auch nur anzudeuten. Deswegen kann ich all jenen, die mit der Betreuung alter Eltern zu tun haben und oder zu tun haben werden, nur empfehlen, das Buch selbst zu lesen.

Denn neben den empirischen Beschreibungen enthält das Buch eine Vielzahl von Hinweisen und Ratschlägen, wie das Kümmern gelingen kann, beiden, den Eltern wie den Kindern. Birgit Lambers schlägt dazu einen Bogen bis hin zum Begriff der Rabenkinder. Dieser zunächst negativ besetzte Begriff wird mit dem Hinweis umgewertet, daß Raben als die intelligentesten Tiere mit den klarsten Strategien gelten. Und daraus entwickelt die Autorin einige handhabbare Vorschläge für die Interaktion mit den Eltern und die Vergewisserung der Kümmmererkinder. Getreu dem Untertitel des Buches: Wie wir Ihnen, den Eltern, helfen können, ohne uns selbst zu überfordern.

Kurzum: ein wirklich gelungener, weil auch vergnüglicher Abend zu einem schwierigen und vielfach angstbesetztenThema.

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