Ein Wort zum Montag, dem 26. August 2024
VON CORNELIA SENG
In Berlin bin ich immer mal wieder auf dem Nettelbeckplatz. Unser Sohn wohnt im Wedding.
Vor dem großen Brunnen bin ich oft stehen geblieben. Er sieht aus wie der Krater eines Vulkans aus rotem Gestein. Lebensgroße Figuren aus Bronze stehen darauf. In einem großem Schwall fließt Wasser vom Rand eines Vulkankraters. Die Menschen tanzen oben auf dem Rand des Kraters. Völlig unbeeindruckt von der Gefahr, in der sie sich befinden tanzen sie ausgelassen. Und doch ist jeder und jede für sich. Sie blicken vor sich hin. Nur auf sich selbst bezogen. Die Gefahr im Rücken scheinen sie gar nicht wahrzunehmen. Eine junge Frau hält ein Mikrofon in der Hand. Singt sie vom „Weiter so“? Naiv und einfältig kommen mir die Gestalten vor. Tumb und wie besoffen. In Amerika heißt es jetzt „weird“ – „seltsam“. Ganz offensichtlich leugnen sie die Realität. Der Anblick ist schwer auszuhalten.
Am Fuße des Vulkans sitzt ein Mann am Klavier. Die Melodie und den Takt gibt er an. Und er ist der einzige, der schon vom Schwall aus dem Vulkan getroffen wird. Ihm macht es offensichtlich nichts aus.
Ich muss einen nachdenklichen Eindruck gemacht haben bei einem meiner letzten Besuche auf dem Nettelbeckplatz. Plötzlich spricht mich ein junger Mann an. Ob ich gesehen hätte, dass der Klavierspieler einen Pferdefuß hat unten links? Tatsächlich! Wenn man es weiß, kann man es sehen. Laut Wikipedia erklärt die Künstlerin Ludmila Seefried-Matějková ihr Kunstwerk so: „Der Vulkan symbolisiert die heutige Welt: Die Menschen, die – animiert vom Satyr – um den Krater des Vulkans tanzen, singen und balancieren, wollen die Gefahr nicht wahrhaben, die Menschen wollen leben!“
Hat sie recht mit ihrer Deutung unserer Zeit?
Der Teufel spielt, und die Menschen tanzen besinnungslos und wie besoffen nach seiner Melodie? Sie leugnen die Gefahr. Heute werden die, die wissenschaftlich arbeiten und vor dem Klimawandel warnen, an den Pranger gestellt. Ich bin nicht pessimistisch veranlagt, aber die bösen Absichten hinter der Leugnung der klimatischen Veränderung machen mir Angst. Manche rufen einfach „Weiter so!“ und beschimpfen die, die warnen. Und nicht wenige Menschen fallen darauf herein.
Der Blick auf den Pferdefuß des Mannes am Klavier ist mir noch nie so schwergefallen wie in diesen Tagen. Ich singe gerne das Gesangbuchlied: „Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt!“ Der Text ist von J. Chr. Blumhardt.
Was wäre, wenn die Menschen auf dem Vulkan innehielten und sich weigerten, nach der Melodie des Spielers zu tanzen? Was wäre, wenn sie sich einfach umdrehen würden? Dann könnten sie sich anschauen. Sie könnten sich gegenseitig wahrnehmen. Und sich die Hände reichen in Solidarität. Und nach einer anderen Melodie leben. Ohne „Weiter so“. Aber in Verantwortung füreinander und für das Leben auf der Erde.
In Gedanken stelle ich die Figuren auf dem Vulkan um. Ich schaffe mir meine eigene Brunnenskulptur. Jesus hat gesagt: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 4,17)
Das Himmelreich ist zu gewinnen! Echtes Leben. Kein sinnlos betäubtes Existieren. Ein Leben in Liebe, Friede und Respekt. Und in Verantwortung für heute und morgen.