Ein Wort zum Montag, dem 19. August 2024
VON CORNELIA SENG
„Was soll überhaupt noch das Dasein?“ Die ältere Freundin schaut mich fragend an. Sie ist zehn Jahre älter als ich. Unsere Kinder leben an anderen Orten. Eine Zugreise weit weg. Wirklich gebraucht werden wir als Großmütter nicht bzw. nicht mehr.
Wozu also noch das ganze Dasein? Mit all den Einschränkungen im Alter?
Als wir jünger waren – „mitten im Leben“, wie man sagt – stellte sich diese Frage gar nicht. Wir wurden gebraucht. Im Beruf und in der Familie. Das Wachsen der Kinder und später die Pflegebedürftigkeit der eigenen Eltern haben den Tag ausgefüllt. Da waren wir Not-wendig.
Und jetzt im Alter? Was gibt dem Leben seinen Sinn? Kann man fröhlich leben, ohne gebraucht zu werden?
Bei Frère Roger, dem verstorbenen Prior von Taizé, lese ich oft den Aufruf, „einfach zu leben“. „Einfach“ ist sowohl als Adjektiv als auch als Adverb zu verstehen. Das Leben ist uns geschenkt – so einfach ist es. In aller Schlichtheit und Genügsamkeit. Und Schönheit. Wie die Blumen auf dem Feld. In Schlichtheit wird das Leben erst schön, konnte Frére Roger sagen. Das einfache Dasein ist der Sinn des Lebens.
Bin ich so alt geworden, um jetzt das zu lernen? Im Alter, wo nichts mehr zu leisten ist? Wo ich einfach nur zu leben brauche als Geschöpf unter Mitgeschöpfen?
Wir alle wurden ins Leben geliebt. Das Leben ist ein Geschenk. Gott, dem Schöpfer, verdanken wir es. Eine „Daseins – Berechtigung“ brauchen wir nicht. Das macht unsere Menschenwürde aus. In Würde als Mensch zu leben, das allein ist uns aufgetragen. Fröhlich, aufrecht und liebevoll als achtsamer Mensch und Mitmensch.
Im vorigen Monat haben die OMAS GEGEN RECHTS in Kassel einen Zeitzeugen zum Gespräch eingeladen. Wie er denn durch die Nazizeit gekommen ist, wurde der alte Herr gefragt. „Mir stand meine Mutter immer vor Augen“, hat er geantwortet. Auf den Hitlergruß habe sie betont langsam und freundlich mit „Guten Morgen“ geantwortet. Ihr Verhalten damals, hat uns heute noch Mut gemacht.
Das Leben braucht kein „Wozu“. Es ist Leben, um zu lieben.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Lk 10,27)