RBW-Wirtschaftsforum: Mittelstand meets Start-ups

VON KARIN GRUNEWALD

Es war ein so vielgestaltiges wie fruchtbares Zusammenkommen: Rund 100 Gäste aus rheinisch-bergischen Unternehmen sowie aus Politik und Verwaltung und 13 Start-ups trafen beim RBW-Wirtschaftsforum im Skydome der Miltenyi Biotec aufeinander. Die Unternehmen mit viel Erfahrung, die Start-ups mit vielen Ideen: Eigentümerversammlungen digitalisieren, KI unkompliziert anwenden, Metallabfälle trennen, Retouren reduzieren, computergestützten Unterricht in der Schule verbessern oder Wahlen von jedem Ort der Welt mit dem Handy möglich machen. Sie sind jung, IT-affin, anpassungsfähig und vor allem schnell. Und damit passen sie in die Zeit, die Keynote-Sprecher Prof. Bastian Halecker so beschrieb: „Die Veränderungsgeschwindigkeit, wie wir sie heute erleben, wird nie wieder so langsam sein wie jetzt.“

Bei der Veranstaltung, die vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wurde, ging es um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes sowie um die Innovationskraft seiner Unternehmen – und darum, wie zwei sehr unterschiedlicher Unternehmenstypen voneinander profitieren können.

Ziel erreicht: Sie reden miteinander!

Die Bergische Start-up-Szene kann sich sehen lassen. Grund genug für die RBW, diese Unternehmen mit ihren speziellen Bedürfnissen zu fördern und sichtbar zu machen. Einen weiteren Grund formuliert RBW-Geschäftsführer Volker Suermann in seinem Grußwort so: „Wir sind sicher, dass sowohl der Mittelstand über alle Branchen hinweg als auch die Start-ups von einer Zusammenarbeit profitieren. Möglicherweise entwickeln sich gerade an diesen Schnittstellen die eigentlichen markt- und zukunftsfähigen Innovationen.“

Die Veranstaltung sollte einen Raum schaffen, in dem sich beide vernetzen und gemeinsames Potenzial finden können. Vorweg: Das Feedback von beiden Seiten ist durchweg positiv, und sowohl vor als auch noch lange nach dem Programm auf dem Podium stehen die Mittelständler an den kleinen Messeständen der Start-ups zusammen, lauschen, staunen und inspirieren sich gegenseitig.

Sie gestalteten das Wirtschaftsforum (v.l.n.r.): Marc Urban, Norbert Hentschel, Marko Steinbach, Anna-Lena Kümpel, Volker Suermann, Silke Ratte, Prof. Dr. Bastian Halecker

Keynote: Die Lage in 2 Minuten erklärt

Die Keynote mit dem Titel „Dino trifft Einhorn“ hält Prof. Dr. Bastian Halecker von der XU Exponential University aus Potsdam – in etwa mit der Geschwindigkeit, die er für die Zukunft erwartet. Der Experte für die Schnittstelle zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen startet mit einem Kurz-Resümee zur Lage.

2021: Start-up-Hype.
2022: Start-up-Kater.
2023: ChatGPT wird zum Volkssport.
2024: Es ist gekommen, um zu bleiben.

„Das ist der Speed, die Dynamik, die wir spüren“, sagt er. „Es geht rasant technologisch nach oben.“ Ein von Deep Tech geprägtes Jahrzehnt verändere jetzt bereits die Menschen in den Start-ups. „Sie sind sehr schlau, Voll-Nerds, die tief in der Technik stecken und sie dazu nutzen wollen, die Welt besser zu machen“, beschreibt er. „Das ist nicht mehr der Hipster-Rauschebart. Das hat sich knallhart geändert.“ Zu den Dinos und Einhörnern träten nun die „Eulen“, deren Arbeit auf wissenschaftlichem und/oder hohem technischen Wissen basiert.

Zu wenig Probleme für Lösungen

Zwischendurch fragt Halecker ins Plenum nach dem häufigsten Grund für das Scheitern von Start-ups – und zwar für ganze 42 Prozent. Das Mittelstandspublikum macht mit und ist ziemlich sicher: Finanzierung, fehlende Umsetzungskompetenz, Vertrieb, Timing, Marketing, Kommunikation. Alles falsch. Korrekt ist, so Halecker: „Ein fehlendes Problem“. Problem definiert er positiv, nämlich als das Wissen über einen relevanten Bedarf („Need“) für eine Innovation. Mit anderen Worten: Ohne zu wissen, was die Kunden und die Welt wirklich brauchen, arbeiten Start-ups schnell am Erfolg vorbei.

Aber woher nehmen ohne große Erfahrung? „Wir müssen das Wissen über Probleme als wertvolle Assets verstehen“, sagt Bastian Halecker. „Dieses Wissen hat in der Regel der Mittelstand.“ Dann könne man „Problem und Lösung zusammenpuzzlen“ zur relevanten Innovation. Sehr eindringlich sagt er, dass in Zukunft der eine kaum ohne den anderen erfolgreich sein könne: „Das Ziel ist nicht ‚das ist eine coole Sache‘, sondern es ist ein Muss. Collaboration ist the new Competition.“

Podiumsrunde: Wie Probleme und Lösungen zusammenfinden

Wie diese Kollaboration aussehen kann, erzählen die Teilnehmer der anschließenden Podiumsrunde, souverän moderiert von Anna-Lena Kümpel.

Marko Steinbach, Co-Gründer von Vulcavo, berichtet, wie sie quasi aus Versehen ein Problem gefunden haben. Eigentlich wollte sein Vorgänger-Start-up der Wohnungen verwaltenden PANDION eine Website verkaufen. Die brauchten sie aber nicht. Schon beinahe bei der Verabschiedung ging es jedoch um die ineffiziente Durchführung von Eigentümerversammlungen. „Eigentümerversammlungen? Das kann ja so schwierig nicht sein!“, dachten sich die Gründer und hatten das Problem für eine Lösung. So entstand im Zusammenspiel von Know-how des Kunden plus IT-Wissen des Start-ups die erfolgreichste App für digitale Eigentümerversammlungen. „Praxischeck hatten wir von Anfang an“, sagt Steinbach. So passte die App auch für weitere Kunden und einen weiteren Zufall: Das Produkt kam in der Corona-Zeit auf den Markt, als Versammlungen nur per Video erlaubt waren. Das Telefon bei Vulcavo stand nicht mehr still.

Wenn am Ende alle zufrieden sind

Marc Urban, IT-Leiter der carpe diem-Gruppe, ist so etwas wie ein „Dinocorn“. Er steht an der Schnittstelle zwischen seinem Wermelskirchener Arbeitgeber, der deutschlandweit mit 3.500 Mitarbeitenden Pflegeeinrichtungen betreibt – und bewegt sich in der Start-up-Szene mit hoher Selbstverständlichkeit und Begeisterung. Die von ihm eingeführte App „Voize“ des gleichnamigen Start-ups beschert inzwischen jedem carpe diem-Pfleger täglich unfassbare 20 bis 30 Minuten mehr Zeit für die Bewohner. Spracherkennung mit dahinterliegender KI auf dem Handy ist der Schlüssel zum Erfolg. „Für das Roll-up in allen Häusern waren zwei Jahre angedacht. Wir werden in weniger als der Hälfte fertig sein“, sagt er. „Die noch nicht ausgestatteten Häuser beschweren sich bereits und wollen unbedingt die App haben.“ Vorangegangen war eine ausgiebige Pilotphase, in der die alltäglichen „Probleme“ zu Lösungen in der App wurden. Voize arbeitet nach wie vor eng mit carpe diem zusammen.

Hilfe, wir brauchen einen Übersetzer!

Das hohe Potenzial einer Zusammenarbeit, dessen Stärke die Unterschiedlichkeit ist, hat auf der anderen Seite auch Potenzial für Reibungen und Konflikte. Die zunächst offensichtlichste davon ist (neben den nicht relevanten Turnschuhen) die Sprache. Eine Sprache voller Anglizismen, von denen viele auch (noch) nicht zum gelernten Wirtschaftsenglisch gehören und die auch vor Professoren nicht Halt macht. In der Fragerunde nach der Keynote heißt es: „Wir brauchen einen Übersetzer für die Kommunikation.“ Halecker bestätigt das. Bei der Bundeswehr würde man das „Verbindungsoffizier“ nennen, scherzt er. Ernst gemeint aber: „Es braucht für die Kommunikation einen dedizierten Ansprechpartner, häufig sogar von außen.“

Das Publikum nutzte die Gelegenheit, Fragen zu stellen

Sprache prägt auch die Kultur

Die Sprache prägt auch die Kultur der Start-ups, wozu gehört, dass man sich grundsätzlich duzt. Auch das ist für die Mittelständler zunächst sehr ungewohnt. Man kennt sich doch gar nicht. Recht schnell jedoch finden beide Seiten in einem munteren Mix der Personalpronomen einen guten Weg. Die unterschiedlichen Kulturen bleiben spürbar. Bemerkenswert dazu das Statement von Hausherr und Miltenyi-Geschäftsführer Norbert Hentschel. „Miltenyi war das erste Unternehmen, in dem mir das Duzen so richtig authentisch vorkam“, sagt er. „Deshalb und wegen des Gründers habe ich hier angefangen.“ Das ist jetzt 24 Jahre her, und mit Blick aus dem Fenster ergänzt er: „Das Du ist in diesen Hallen etwas sehr Besonderes.“ Stefan Miltenyi gründete sein Biotechnologie-Unternehmen 1989 mit 5.000 D-Mark, seiner Diplomarbeit zur Sortierung von Zellen – und im Keller seines Elternhauses. Ein frühes Start-up wie aus dem Buche. Inzwischen beschäftigt Miltenyi Biotec weltweit 5.000 Menschen und macht eine Milliarde Umsatz. „Aber“, sagt Hentschel lächelnd, „wir sehen uns immer noch als Start-up.“

Innovation, Effizienz und eine andere Zeitrechnung

Die Unternehmenskultur war bei Miltenyi stets auf interdisziplinäre Innovation ausgelegt – neben dem, was bei den meisten etablierten Unternehmen weit im Vordergrund steht: das Trimmen auf Effizienz. Dazu kommen gewachsene und gelebte Prozessstrukturen, die, so Hentschel, „notwendig sind, um Dinge strukturiert durch die Tür zu bringen“. Sie können jedoch ein weiterer Knackpunkt im Kontakt mit den Start-ups sein, die solche Prozesse einfach nicht kennen. Besonders zeigt sich das beim Anspruch des Start-ups an Geschwindigkeit. Bastian Halecker wieder in Kürze: „Der Start-upper schaut auf die Uhr, der Unternehmer in den Kalender.“ Marko Steinbach erntet mit einer seiner Erfahrung zugewandte Heiterkeit im Publikum. „Eines Tages sagte der Kunde uns, es müsse ganz schnell gehen“, erzählt er. Die Antwort auf die Frage, bis wann es denn fertig sein müsse, lautete: in zwei Monaten. Achselzuckend sagt der Gründer: „Bei uns heißt ganz schnell eher bis morgen.“

Prozesse? Brauchen wir nicht!

Marc Urban machte die Erfahrung von der anderen Seite aus. Als einem Start-up der Prozess zur Beschaffung von Handys und SIM-Karten nicht schnell genug ging, bestellte es diese ohne Abstimmung kurzerhand selbst – allerdings völlig unpassend zur im Unternehmen existierenden Hardware. „Man muss eine gewisse Fehlertoleranz entwickeln“, sagt der IT-Leiter, inzwischen entspannter als damals. “Man muss manches auch akzeptieren, solange man das wieder einfangen kann.“ Er konnte es einfangen. Es war klar, dass man inhouse gar keine SIM-Karte brauchte. „Der Prozess war aber so“, sagt Urban. „Durch das Hinterfragen haben wir ihn geändert. Jetzt können wir so schnell liefern, wie das Start-up es braucht.“ Markus Steinbach wünscht sich mehr vertrauensvolle Risikobereitschaft beim Mittelstand: „Man sollte nicht sofort beim ersten Stolperstein die Flinte ins Korn werfen.“ Und die Erfahrung von Norbert Hentschel sagt: „Der Fokus auf etwas Neues ist wunderbar, kann aber für andere frustrierend sein. Da muss man moderieren, damit keiner die Lust verliert.“

Anbahnung und erste Zusammenarbeit

Die Anbahnungsphase ist für beide, Mittelstand wie Start-ups, besonders wichtig. Halecker empfiehlt, hier besonderen Wert auf gezielte Kommunikation zu legen. Start-ups empfinden in ihrer Zeitrechnung diese Phase häufig als zu lang und kompliziert, denn selten haben sie mehr als zehn Mitarbeiter. Der Gründer macht vieles selbst, seine Zeit ist knapp bemessen. Bei etablierten Unternehmen schließen sich jedoch an den Erstkontakt meist weitere interne Kommunikations- und Entscheidungsprozesse an, die – besonders wenn es um strategierelevante Entscheidungen geht – ihre Zeit brauchen. Zudem haben sie auch die Erfahrung, dass übereilt getroffene Fehlentscheidungen teuer werden können. Eine solche hilft am Ende weder ihnen noch den Start-ups. Bastian Halecker empfiehlt für die Anbahnung eine eigene Anlaufstelle, um die Kommunikationswege und -zeiten zu verkürzen. Einen Tipp, wie sich eine erste Zusammenarbeit nachweislich am schnellsten bezahlt mache, hat er auch parat: Venture clienting. Was bitte? Er übersetzt: „Eine Art Einkaufsprozess für Start-ups mit dediziertem Ansprechpartner.“ Den Rest weiß Google. Oder ChatGPT.

Das Matching-Event der RBW hat die Kontaktaufnahme zwischen Mittelstand und Start-ups unterstützt

Zum guten Schluss

„Es ist nicht notwendig, alles auf links zu drehen“, sagt Bastian Halecker. „Wichtig ist es, eine Balance zu finden zwischen Exploitation und Exploration.“ Das bedeutet, gleichzeitig effizient und stabil als auch innovativ und anpassungsfähig zu agieren. Also auf der einen Seite schauen, welche Ressourcen im eigenen Unternehmen da sind und genutzt werden können, gleichzeitig aber Potenziale für Veränderungen systematisch aufdecken.

Und dann wäre da noch die Sache mit der Vision, die sowohl Innovation als auch Effizienz gut gebrauchen kann. Dabei spielt es nicht zwingend eine Rolle, ob Start-up oder etablierter Mittelstand. Payman Supervizer hat sie für seine auf Blockchain-Technologie basierenden Wahl-App und sein Start-up „VoteBase“: Mehr Demokratie und Beteiligung für alle Bürger überall auf der Welt. Miltenyi hat sie auch: Die Medizin neu erfindet und auf ein Niveau bringen, das Krebs und andere schwere Krankheiten der Vergangenheit angehören lässt.

„Es geht nicht darum, reich zu werden“, sagt Norbert Hentschel. „Es geht darum, Dinge möglich zu machen, die bisher unmöglich schienen.“ Das wenigste müsse dafür selbst erfunden werden. „Es gibt eine Menge Menschen, die erkennen: Ich bin nicht der geborene Unternehmer, aber ich möchte meine Idee in der Praxis sehen, den Impact sehen.“ Der wichtigste Anspruch dabei sei, nachhaltig zu verändern, um Nutzen für die Patienten, für die Menschheit an den Start zu bringen. Das Entscheidende sei die Sache – und der Wille, Dinge zu verändern und voranzubringen.“ Dafür gelte es, Menschen zusammenzubringen und „mehr Sichtbarkeit“ herzustellen.

Fazit

Wie die Teilnehmer einvernehmlich bestätigen, war das Wirtschaftsforum ein gelungener Schritt in Richtung Sichtbarkeit. Es wird nicht der einzige Raum für Austausch bleiben. „Unser USP, also das Alleinstellungsmerkmal der RBW und des Standortes, ist der Zugang zum Mittelstand“, sagt Volker Suermann. „Wir öffnen diese Zugänge und bringen die Akteure zusammen.“ Die Teilnehmer am Wirtschaftsforum haben auf jeden Fall nicht nur neue Vokabeln, sondern auch neue Produkte, Kulturen und Möglichkeiten kennengelernt – vor allen Dingen aber neue Menschen. Sehen Sie dazu auch unsere Video-Zusammenfassung (bitte klicken Sie auf das Bild).

Alle Fotos © Lukas Schulze

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