DREI FRAGEN AN Rafael Nikodemus, theologischer Dezernent und zuständig für Menschenrechtsfragen, zum gerade erschienenen Buch „Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen“.
Das Interview mit Rafael Nikodemus wurde auf der Website der Evangelischen Kirche im Rheinland mit der Aufforderung veröffentlicht, diesen Beitrag weiter zu teilen.
Herr Nikodemus, das Projekt Abschiebungsreporting NRW und das Komitee für Grundrechte und Demokratie haben ein Buch zu Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Eines der Vorworte stammt von Ihnen. Warum ist das Buch notwendig?
Rafael Nikodemus: Seit 2001 gibt es in Nordrhein-Westfalen die Abschiebungsbeobachtung an den Flughäfen in der Trägerschaft der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und unterstützt durch die Landeskirche. Die Abschiebungsbeobachtung hat zu viel Transparenz und Verbesserungen insbesondere im Abschiebungsvollzug am Flughafen geführt. In den vergangenen Jahren haben wir allerdings immer stärker wahrnehmen müssen, dass heute die eigentlichen Probleme und humanitären Härten in der Situation der Vorbereitung der Abschiebung, der Abholung und Zuführung der betroffenen Personen zum Flughafen liegen. Die Situation vor Ort ist eine Black box, in die niemand hineinschauen kann. Deshalb ist uns als NRW-Landeskirchen das Projekt Abschiebereporting wichtig und deshalb haben wir es mit dem Komitee für Grundrechte auf den Weg gebracht und finanzieren es. Regelmäßig werden problematische Vorfälle im Abschiebungsvollzug aufgedeckt. Mit diesem Buch gibt das Projekt nach einem Jahr Rechenschaft über die bisherige Arbeit.
In der politischen Debatte wird immer wieder gesagt, es gebe zu wenig Abschiebungen. Stimmt das?
Nikodemus: Es wird zurzeit viel Stimmung gegen geflüchtete Menschen gemacht. Die Forderung nach einer Begrenzung der Aufnahme und nach mehr und schnelleren Abschiebungen ist populär. Oft wird suggeriert, die meisten Geflüchteten seien gar nicht schutzwürdig. Dabei lag die Schutzquote bei Asylsuchenden im Jahr 2023 bei annähernd 70 Prozent. Viele Ausreisepflichtige werden geduldet, weil humanitäre oder rechtliche Gründe eine Abschiebung gar nicht zulassen.
Wer ist am meisten von Abschiebungen betroffen?
Nikodemus: Abgeschoben werden können nur Ausreisepflichtige, bei denen keine Abschiebungshindernisse vorliegen. Und das sind viel weniger, als oftmals angenommen wird. Neue gesetzliche Regelungen der vergangenen Jahre und der Abschiebungsdruck in den Kommunen führen vermehrt zu humanitär und rechtlich bedenklichen Abschiebungen. Das Auseinanderreißen von Familien, die Nichtbeachtung des gesundheitlichen Zustands oder die fehlende Berücksichtigung des Kindeswohls sollten in unserem Staat nicht vorkommen. Deshalb unterstützen wir das Abschiebungsreporting und seine Recherchearbeit.
Hier das Buch „Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen“ als PDF-Datei: